DIE EXPLOSION

Es war an einem Freitag im Februar 1946, und wie jede Woche in unserem Betrieb Gießtag.
Ich stand an meiner Hobelbank und arbeitete an einem Modell. Durch das Fenster, welches zum Hof ging, konnte ich sehen, wie die Gießer den Schmelzofen beschickten. So wie immer, wenn das Windgebläse surrte, um die notwendige Verbrennungsluft für den Schmelzprozess in den Ofen zu blasen, klirrten leise die Fensterscheiben. Durch die kleinen Fenster des Oberlichtes der Gießereihalle flackerte die rot glühende Lohe des geschmolzenen Eisens während des Gießprozesses. Hin und wieder stand ein Gießer an der Hallentür, um sich etwas abzukühlen und ein wenig frische Luft zu schnappen.

In der Gießerei
Obwohl es etwas getaut hatte, lag auf dem Schrottberg im Hof und an den Wegrändern auf dem Betriebsgelände noch etwas verharschter Schnee.
Plötzlich und völlig unerwartet gab es auf einmal einen gewaltigen Knall. Die Scheiben der Fenster der Modelltischlerei, die zum Hof hin gingen, zerbarsten und die Splitter wurden in unsere Werkstatt geschleudert. Die Explosion war so stark, dass bei einigen Fenstern sogar die Fensterflügel aus den Rahmen gerissen wurden. Eine Stichflamme zuckte und Funken stieben bis zu uns hinauf.
Instinktiv hatten die Kollegen und ich uns auf den Fußboden geworfen und unter unseren Hobelbänken Schutz gesucht. In dieser Schrecksekunde durchzuckte mich der schreckliche Gedanke, der ja kurz nach Kriegsende nicht unbegründet war: Mein Gott, jetzt haben sie wohl aus versehen eine Granate vom Schrott in den Kupolofen geworfen und die ist explodiert.
Wir verharrten noch eine Weile unter unseren Schutz bietenden Hobelbänken, auf weitere Explosionen gefasst. Als nichts weiter passierte, schauten wir vorsichtig, immer noch auf das Schlimmste gefasst, aus dem Fenster, um zu sehen, was geschehen war.
Außer einer geborstenen Gießpfanne, deren glühende Trümmer im Werkhof verstreut lagen, einer verbogenen Tragegabel für die Pfanne (wie sie auf dem Bild zu sehen ist) und zwei Gießereiarbeitern war jedoch nichts weiter zu entdecken.
Die beiden Arbeiter schienen verletzt zu sein, denn der vordere hielt sich die rechte Seite und der hintere hatte die Hände vor seinem Gesicht, und zwischen den Fingen sickerte Blut hervor.
Wir liefen auf den Hof, um zu helfen. Dort hatten sich schon andere Arbeiter eingefunden. Einige kümmerten sich bereits um die beiden Verletzten. Andere räumten die heißen Gießpfannenteile beiseite, damit sich keiner daran verletzte.
Zuerst konnte sich keiner richtig erklären, wie es zu diesem Betriebsunfall gekommen war. Die beiden beteiligten Arbeiter waren verständlicher Weise nicht gleich ansprechbar. Vermutungen wurden geäußert.
Ein Gießer wusste genaueres zu berichten: „Ich habe gesehen, wie Paul, als er die letzte Form gefüllt hatte, mit Karl die leere Gießpfanne zum Auskühlen nach draußen brachte. Dann hat es auch schon geknallt.“
„Die beiden haben die glühende Pfanne draußen vor der Gießhalle in den Schnee gekippt“, berichtete ein Schlosser, der den Vorgang beobachtet hatte, „vermutlich, damit sie schneller abkühlt“, schlussfolgerte er.
„Der Schnee unter der glühenden Pfanne ist bestimmt durch die Hitze verdampft und der Dampf hat die Pfanne dann auseinander gerissen“, mutmaßte ein anderer Former.
„Das ist alles Quatsch“, unterbrach der Gießereimeister die Debatte, „hier ist das passiert, wovor wir in jeder Arbeitsschutzbelehrung immer wieder warnend hinweisen: Glühendes Eisen niemals mit Wasser in Berührung bringen, weil das wegen der Knallgasbildung äußerst gefährlich ist. Hier könnt ihr euch nun von der ungeheueren Wirkung einer solchen Knallgasexplosion selbst ein Bild machen. Und ich hoffe, es wird allen in der Gießerei für die Zukunft eine Lehre sein“.
Karl hatte Glück. Ihm war das Ende der Tragegabel an die Hüfte geprallt und hatte lediglich eine schmerzhafte Prellung verursacht.
Paul hatte es schlimmer erwischt, wobei er noch Glück im Unglück hatte. Ihm waren durch die Explosion glühende Schlacketeile ins Gesicht geschleudert worden und hatten schlimme Brandwunden verursacht. Wie ein Wunder waren aber seine Augen nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Als die Wunden verheilt waren, war sein Gesicht jedoch vom Unfall gezeichnet. Es war mit schwarzen Punkten von den Brandnarben übersät, die ihn Zeit seines Lebens anhafteten.
Wir hatten zu tun, die Fenster unserer Tischlerei, die durch die Explosion kaputt gegangen waren, wieder dicht zu bekommen. Das war aber gar nicht so einfach, denn Glas war ja knapp. Deshalb mussten wir für einige Zeit mehrere Scheiben durch Pappe ersetzen.
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