HOLZSANDALETTEN

„Unser Betrieb hat einen speziellen Auftrag bekommen. Wir sollen Hobelbänke für eine Großtischlerei anfertigen“, informierte uns eines Tages unser Direktor, Kollege Albrecht. „Dafür wird ab Montag für einige Zeit ein junger Tischlermeister bei uns arbeiten. Er soll uns helfen, diesen Auftrag ordentlich zu erfüllen. Unterstützt ihn, damit er flott arbeiten kann und eine gute Qualität sichert.“
„Na, das kann ja heiter werden. Wer weiß, was für ein windiges Bürschchen da kommen wird?“ Skeptisch kratzte sich Kollege Hoffmann am Hinterkopf.
Am Montag morgen wartete unsere Truppe gespannt auf den Neuen.
„Hallo, ich bin Fritz Schulz. Ich bin frisch gebackener Tischlermeister, komme aus Groß Breesen und ich soll hier bei euch ein paar neue Hobelbänke bauen“, begrüßte er uns heiter aber unternehmerisch bewusst.
„Wo kann ich mich denn betätigen?“, schaute er sich suchend um, indem er seine neue Tischlerschürze umband. Sein selbstsicheres Auftreten zeigte, hier kam ein dynamischer Typ, der wusste, was er wollte.
Zielstrebig ging Fritz an die Erfüllung seines Auftrages. Zuerst inspizierte er unser Holzlager, um das erforderliche Material für die neuen Hobelbänke, gut abgelagerte Bohlen aus Rotbuche, heraus zu suchen.
„Mann, ihr seid ja gut mit Holz eingedeckt, da kann man ja neidisch werden“; stellte er anerkennend fest, „da lässt sich ja ordentlich was draus machen!“ Dabei schweifte sein Blick auch taxierend über das abgelagerte Erlenholz für die Modellherstellung. „Das ist ja dass geeignetste Material für Holzsandaletten!“, war sein fachkundiges Urteil.
Fritz, unser neuer Arbeitskollege, belegte erst einmal alle Maschinen mit Beschlag und sorgte auch sonst für schöpferische Unruhe in unserer alten Modelltischlerei. Er beschränkte sich nicht nur auf seinen Auftrag, sondern entfaltete auch in anderer Hinsicht seine unternehmerischen Aktivitäten.
Er begann ganz ungeniert aus unserem, für Modelle vorgesehenen, guten Erlenholz hochhackige Holzsandaletten für Damen anzufertigen, wobei er auch gleich noch unseren Nitro-Modelllack in sein Schaffen mit einbezog. Dabei bewies er Kreativität, Designerqualitäten und vor allem modischen Geschmack.
Um sich seine Arbeit zu erleichtern, fertigte er sich aus Pappe die erforderlichen Schablonen für alle gängigen Größen, und ruck zuck, war so ein Paar Holzsandaletten fertig. Kumpelhaft erlaubte er auch uns, seine Schablonen zu benutzen, um für unseren Bedarf solche eleganten Holzschuhe mit Keilabsatz anzufertigen.
Wer nun glaubt, dass er sich damit begnügte, einige solcher Sandaletten herzustellen, um seinen engsten Bekanntenkreis damit zu beglücken, der irrte sich gewaltig. Ganz im Gegenteil, er zog die Sache, sie zeigte sich als sehr lukrativ, in großem Stile auf, in Fließfertigung sozusagen.
Seinem Geschäftssinn war es geschuldet, dass er bald aus der ganzen Umgebung von Guben Aufträge für diese, zur damaligen Zeit doch sehr attraktive, Fußbekleidung für junge Frauen bekam.
Unsere Tischlerei ähnelte während dieser Zeit mehr einer modernen Schuhproduktionsstätte, als einer betrieblichen Modellwerkstatt. Sein eigentlicher Auftrag, neue Hobelbänke zu bauen, wurde dadurch natürlich etwas beeinträchtigt.
Das konnte verständlicher Weise auf die Dauer nicht gut gehen.
Als sich eine Großhandelsgesellschaft für Schuhe allen Ernstes nach der Schuhfabrik erkundigte, die in Guben diese chicen, modernen, sehr gefragten Holzsandaletten für Damen produzierte, wäre die Sache beinahe aufgeflogen!
Fritz beendete dieses profitable Nebengeschäft und konzentrierte sich wieder auf seinen eigentlichen Auftrag, den er dann auch zügig und in bester Qualität erfüllte.
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