KRIEGSGEFANGENSCHAFT

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Es waren viele Hunderte Soldaten, die den Ausbruch aus dem Kessel nicht ge-schafft hatten und wie ich den Weg in die Gefangenschaft antraten. Aus allen Teilen von Märkisch-Buchholz kamen sie und zogen, nur von wenigen Rotarmisten bewacht, am Nachmittag des 29. April aus dem, in den Tagen zuvor hart umkämpften, Städtchen.
Überall lagen die Trümmer von zerschossenen Häusern, zerstörtes Kriegsmaterial und von Flüchtlingen weggeworfene Habseligkeiten herum. An einer Mauer standen ein paar herrenlose Fahrräder. Am Lenker des einen hing ein Blecheimerchen. Da ich im Gartenhäuschen beim überhasteten Aufbruch mein Kochgeschirr liegen gelassen hatte, schnappte ich mir das Gefäß, um es als Essnapf zu gebrauchen. Es war kein schlechter Griff, den ich da gemacht hatte, denn das Behältnis war zu dreiviertel mit goldgelbem Honig gefüllt; für einen Kriegsgefangenen eine nicht zu verachtende Wegzehrung.
Es war ein beachtlicher Zug von Gefangenen, der sich auf der Straße nach Münchehofe müden Schrittes vorwärtsbewegte.

Soweit man sehen konnte, waren die Straßenränder übersät mit umgestürzten, zerstörten oder ausgebrannten Armeefahrzeugen. Damals war ich sichtlich beeindruckt von der gewaltigen Zerstörungskraft der sowjetischen Kampfeinheiten; denn am Vormittag hatte ich ja noch die Kolonnen heil in Richtung Märkisch-Buchholz fahren sehen, die jetzt zerstört am Straßenrand lagen. Heute weiß ich, dass unsere Armeeeinheiten selbst diese Fahrzeuge, die beim Ausbruchversuch für sie nutzlos gewesen wären, zerstört hatten, um sie nicht in die Hände des Feines fallen zu lassen.
Aus einem umgestürzten Fahrzeug, das zu einer Versorgungseinheit gehört haben muss, waren Kommissbrote herausgefallen. In einem daneben liegenden, welches ausgebrannt war, konnte man verschmorte und zum Teil verkohlte Würste erkennen. Etwas weiter lagen Konservendosen verstreut im Straßengraben. So, wie viele andere, sammelte auch ich mir in einer Decke sicherheitshalber Brot, Wurst und Konservendosen ein, denn niemand wusste, wann wir von den Russen etwas zu Essen bekommen würden. Die uns bewachenden Rotarmisten ließen uns, ohne einzugreifen, gewähren.
Auch das Fahrzeug eines Zahlmeisters war zerstört worden und das Geld lag in der Gegend herum. Alle trampelten darüber hinweg. Keiner nahm Notiz von dem Zaster. Wenn wir damals gewusst hätten, dass dieses Geld nach dem Krieg in der sowjetisch besetzten Zone noch als Zahlungsmittel genutzt wurde, hätte sich bestimmt jeder die Taschen damit vollgestopft.
In der Marschkolonne war erkennbar, das viele Soldaten Gruppenweise in Gefangenschaft gegangen waren, sich untereinander gut kannten und auch weiter in ihren Einheiten zusammen blieben. Unter diesen Umständen war es nur zu verständlich, dass ich mich mit einem älteren RAD-Mann zusammenschloss, der neben mir herlief und auch allein war.
Kurz vor Münchehofe bog unsere Gefangenenkolonne nach rechts ab. Nach etwa zwei Kilometern wurde auf einer freien Fläche Halt geboten und uns mitgeteilt, dass wir hier übernachten würden. Lediglich acht Lagerfeuer, um die sich unsere Bewacher gruppierten, grenzten das Areal ein, auf dem wir kampieren mussten.
Die erste Nacht im offenen Gefangenencamp hatte ich verhältnismäßig gut geschlafen. Als ich aufwachte, schien schon die Sonne von einem wolkenlosen blauen Himmel. Wohlig schälte ich mich aus den Decken, die sich außen vom Morgentau noch etwas feucht anfühlten.
Mein Schlafkumpan, der alte RAD-Mann, war schon aufgestanden und bestimmt im Lager auf Erkundung unterwegs.
Plötzlich stutzte ich! Die obere der beiden Decken, mit denen wir uns gemeinsam zugedeckt hatten, fehlte, und das war ausgerechnet meine. Ich suchte vergeblich, sie war und blieb verschwunden.
Geklaut!!!???
Ich hätte heulen können!
Mein Zufallskumpel äußerte, als er von seinem Rundgang zurück kam, und ich ihm das Verschwinden der Decke mitgeteilt hatte, scheinheilig sein Bedauern darüber, dass ausgerechnet meine Decke verschwunden sei. Ich konnte mich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass er selbst es war, der sie mir, als ich noch schlief, heimlich weggenommen und wahrscheinlich gegen Zigaretten eingetauscht hatte. Nachweisen konnte ich es ihm leider nicht, doch vorsichtshalber habe ich mich gleich von ihm getrennt.
Das brachte mir aber meine Decke auch nicht wieder zurück.
Nach dem Grundsatz: ,Wie du mir, so ich dir!‘, durchstreifte ich das Lager mit dem festen Ziel, einem anderen seine Decke zu klauen.
Das war, wie sich bald herausstellte, so gut wie unmöglich, weil man in den Gruppen gegenseitig auf die Sachen aufpasste. Und bei einem Kameraden-Diebstahl, der auch in der Gefangenschaft ein schlimmes Vergehen war und drakonische Maßnahmen zur Folge hatte, wollte ich nicht erwischt werden. Resigniert gab ich auf, setzte mich zu meinen Sachen und haderte mit Gott und der Welt.
Was sollte ich bloß tun, um wieder in den Besitz einer Decke zu kommen?
Bei meinem Herumstromern im Lager hatte ich gesehen, dass einige Gefangene zwei bis drei Decken besaßen. Meine verzweifelten Versuche, einem von ihnen eine Decke abzubetteln, blieben leider erfolglos. Deshalb verfiel ich auf einen Trick! Ich verbreitete im Lager das Gerücht, dass die Russen allen, die mehr als eine Decke besitzen, die übrigen wegnehmen.
Als mir nach einiger Zeit ein Kamerad von diesem Gerücht berichtete, wusste ich, dass es im Lager die Runde gemacht hatte.
Bezug nehmend auf dieses Gerücht sprach ich einen Gefangenen, der mehrere Decken besaß, an: „Kamerad, ich habe keine Decke. Bevor dir die Russen deine zweite Decke wegnehmen, gib sie lieber mir.“
Der Trick glückte! So kam ich schließlich wieder zu einem so banalen, aber doch so notwendigen Utensil für einen Kriegsgefangenen, zu einer grauen, rauhhaarigen Wehrmachtsdecke.
Wir blieben einen Tag und zwei Nächte auf diesem offenen Lagerplatz. Ständig kamen neue Gruppen von Gefangenen dazu. Am Morgen des zweiten Tages, es war der 1. Mai, verließen wir diesen Sammelpunkt. Es ging nach Frankfurt an der Oder zurück, wo wir in Birnbaumsmühle, gleich hinter der Stadtgärtnerei, in der Hoffbauerkaserne untergebracht wurden, die schon völlig überfüllt war.
Zwischen dem Zeitpunkt, wo ich als deutscher Soldat Frankfurt verließ, und dem, wo ich als sowjetischer Kriegsgefangener wieder in diese Stadt zurückkam, lagen ganze zehn Tage; was für eine kurze, aber für mein Leben doch so bedeutsame Zeit!
In der Hoffbauerkaserne blieben wir nur wenige Tage. Dieser kurze Abschnitt meiner Gefangenschaft ist mir unangenehm in Erinnerung geblieben, weil ich dort als einer der ersten Gefangenen eine Glatze geschnitten bekam. Der Frisör sagte: „Weißt du, es wird nicht mehr lange dauern, und wir bekommen alle unsere Glatze; also fange ich bei dir gleich mal an!“ Und ehe ich es mir versehen hatte, war meine Haarpracht der Schere zum Opfer gefallen. Anfangs war ich ordentlich sauer, dass das ausgerechnet mir passieren musste, der ich immer so stolz auf meine langen Haare gewesen war! Später, als alle kahl geschoren waren, hatte das für mich keine große Bedeutung mehr.
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