LUFTWAFFENHELFER
Ich glaube nicht, dass es Absicht war; aber genau zu meinem 16. Geburtstag bekam ich meine Einberufung zur Luftwaffenhelfer-Ausbildung. Danach hatte ich mich am 1. Mai, dem Tag der nationalen Arbeit, der schon lange nicht mehr gefeiert wurde, bis 9.00 Uhr bei der leichten Heimat-Flak-Batterie 36/3, die im ehemaligen Tivoli in der Neiße-Straße stationiert war, einzufinden.
- Bescheinigung über meinen Luftwaffenhelfer-Einsatz
Üblicherweise wurden zur damaligen Zeit Oberschüler zur Ausbildung als Luftwaffenhelfer herangezogen, und mir grauste schon davor, mit solchen hochnäsigen Burschen gemeinsam Dienst schieben zu müssen. Um so überraschter war ich, als ich dort alte Freunde und ehemalige Schulkameraden, wie Helmut Haschzschick, Werner Brauer, Rudi Lassnack, Helmut Tarnick und andere traf. Die Freude war bei allen groß, dass unsere Einheit überwiegend aus Lehrlingen bestand, die zum größten Teil bereits ihre Notprüfung abgelegt hatten.
Wir wurden zünftig eingekleidet und für die 6 Wochen der Ausbildung in einer Baracke neben dem Tivoli untergebracht. An den Längsseiten des großen Saales standen Doppelstock-Betten. Ich hatte Glück und bekam ein Oberbett. Zwischen den Betten stand für jeden ein Hocker zum Ablegen der Sachen. In der Mitte des Saales befanden sich Tische und Bänke, wo wir unsere Malzeiten einnahmen und auch theoretische Ausbildung hatten.
Auf einem kleinen Hügel, etwas abseits der Baracke, standen die beiden 2cm Vierlings-Flakgeschütze. Sie waren eingegraben und durch einen Laufgraben miteinander, sowie mit dem Kommandostand und dem Munitionsbunker, verbunden.
- Eine 2 cm Vierlings-Flak, an der wir ausgebildet wurden
Wir wurden in vier Gruppen zu je sieben Flakhelfern eingeteilt. Jede Gruppe bildete eine Geschützbedien-ung. Sie setzte sich zusammen aus dem Geschützführer, dem K 1 (Höhenrichtkano-nier), dem K 2 (Sei- tenrichtkanonier), dem K 3 und K 4 (Ladekanoniere) und dem K 5 und K 6 (Munitionskanoniere). Jeder Ausbilder leitete zwei Gruppen, die im Wechsel praktische Geschützausbildung und theoretische Schulung in Waffenkunde, Ballistik, Flugzeugerkennung, Zielansprache usw. hatten. Mein Freund Helmut und ich gehörten zur Ausbildungseinheit, die Uffz. Stabs befehligte. Er ernannte uns beide, welch wundersame Fügung des Schicksals, zu Geschützführern. Unsere Kameraden lästerten natürlich: „Seid bloß vorsichtig! Ihr wisst doch, auf die Hohen schießt der Feind immer zuerst!!“ Wir lachten nur darüber.
„Hört zu, Jungens“, erklärte uns Unteroffizier Stabs zu Beginn unserer Ausbildung, „wir werden die ganze Sache hier, was den Dienst betrifft, recht locker angehen, aber eins bitte ich mir aus: Disziplin!!! Und bei der praktischen Gefechtsausbildung, da werde ich euch so fordern, dass ihr an die Grenze eures Leistungsvermögens kommt und euch manchmal die Kacke im Arsche kocht. Aber ihr könnt mir glauben, nur, wer seine Waffe im Schlaf und unter allen Lagebedingungen beherrscht, hat einige Chancen, zu überleben!!!! Ist das klar?“
Aus 28 Jungenmündern kam das befreiend-zustimmende: „Jawohl, Herr Unteroffizier!“
Dann ging es richtig los! Obwohl die theoretische Ausbildung recht interessant war, besonders, was die Flugzeugerkennung betraf, machte uns das Geschützexerzieren, obwohl es körperlich wirklich sehr anstrengend war, doch mehr Spaß. Wir lernten das Geschütz in allen seinen Teilen und in seiner Wirkungsweise kennen. Da die Reichweite der Vierlings-Flak-Geschütze nicht sehr groß war, trainierten wir vor allem die Bekämpfung von Tieffliegerangriffen. Wenn Alarm ausgelöst wurde, flitzten wir alle auf unsere Posten. K 5 und K 6 schleppten die Munitionskästen herbei, K 3 und K 4 luden damit das Geschütz und K 1 und K 2 nahmen ihre Plätze ein, um das Flak-Geschütz in Schussposition zu bringen. Danach meldete ich: „Geschütz feuerbereit!“ Als Geschützführer hatte ich dann die Anflugrichtung des feindlichen Flugzeuges nach einer Tabelle, deren Skala in 12 Segmente zu je 30 Grad eingeteilt war, bekannt zu geben. Danach musste der Seitenrichtkanonier das Geschütz ausrichten. Dabei galt es aufzupassen! Da man im Gefechtslärm 11 und 12 leicht verwechseln konnte, wurde die 12 Zwo-Zehn ausgesprochen.
Ich befahl also zum Beispiel: „Flugzeug 9!“ Danach kurbelte der K 2 das Geschütz, indem er „Flugzeug 9“ wiederholte, in die angegebene Richtung. Dann lautete mein Befehl vielleicht: „Höhe 70 Grad!“ Der K 1 brachte danach die Rohre vertikal in die erforderliche Höhe, und wiederholte ebenfalls: „Höhe 70 Grad“. Wenn er dann meldete: „Ziel erfasst“, befahl ich: „Feuer!“
Obwohl das Flakgeschütz in der Lage war, mit allen vier Rohren gleichzeitig zu feuern, wurde in der Regel immer nur mit zwei, diagonal gegenüberliegenden Rohren geschossen, um den Ladekanonieren in der Zwischenzeit die Möglichkeit zu geben, die anderen beiden Rohre nachzuladen. Auch konnte man Einzel- oder Dauerfeuer, letzteres meist in Feuerstössen, schießen.
Da sich die Rohre bei längerer Schussfolge stark erhitzten, was zu Deformationen führen konnte, war nach einer gewissen Zeit Rohrwechsel erforderlich, der von den Lade- und Munitionskanonieren vorgenommen werden musste.
- Luftwaffenhelfer Haschzschick, Krause, Kirsch und Tarnick Mai 1944
Natürlich gab es auch Nachtalarme. Dann hatten wir das Ganze im Dunklen zu absolvieren. Aufpassen mussten wir auch, dass uns beim Exerzieren keine Geräte oder Waffenteile in den Dreck fielen. Schlimm für die Geschützbedienung, der das passierte. Da verwandelte sich die Geschützstellung in eine Zirkusarena, in der wir robbend, hüpfend oder im Entengang watschelnd um unser Geschütz trabten, meist noch mit einem schweren Gegenstand in der Vorhalte, und aufsagen mussten: „Meine Waffe ist meine Braut! Ich liebe meine Braut! Ich darf meine Braut nicht beschmutzen.“
Während der Ausbildung wurde nur mit Übungsmunition trainiert. Erst zum Ende unserer Ausbildung konnten wir auf dem Schiessplatz in Wallwitz zeigen, was wir gelernt hatten. Jede Geschützbedienung erhielt 15 (fünfzehn!!) Schuss scharfe Leuchtspurmunition. Davon konnten wir 5 Schuss Einzelfeuer auf eine stehende Panzerattrappe und zwei Mal je 5 Schuss Dauerfeuer auf einen, von einem Flugzeug gezogenen, Luftsack abfeuern. Nachtschiessen hatten wir leider nicht, was wir sehr bedauerten. Insgesamt, so glaube ich mich zu erinnern, waren wir übungsmäßig recht ordentlich auf Zack. Im aktiven Kampfeinsatz brauchten wir uns glücklicherweise nicht zu bewähren.
Am Ende unsere Ausbildung wurde ein zünftiger Kameradschaftsabend durchgeführt. Im Vorfeld erkundigten sich unsere Ausbilder bei uns, ob wir nicht ein paar Mädchen kennen würden, die wir einladen könnten, denn ohne Mädchen würde so ein Abend keinen richtige Spaß machen.
Mein Freund Helmut und ich waren mit Lucie Fischer und ihrer Schwester Ursel aus der Grünen Wiese gut bekannt. Wir fragten beide, ob sie nicht Lust hätten, mit uns mitzufeiern. Sie hatten Lust! Es waren aber auch die beiden einzigen, die kamen und die während der Feier ausschließlich von unseren beiden Ausbildern mit Beschlag belegt wurden. Es gab ein ausgiebiges Abendessen. Dann wurde, obwohl wir ja in Wirklichkeit wenig vertrugen, in nicht unerheblicher Menge dem Wein und Bier zugesprochen und dabei auch allerhand Zoten gerissen. Wir waren recht aufgekratzt, als wir uns gegen Mitternacht in unsere Unterkunft begaben. Beschwipst, wie er war, griff mein Freund Werner Brauer nach einer Blumenvase, die auf dem Tisch stand, entfernte schwungvoll die darin befindlichen Blumen und nahm einen kräftigen Schluck. Dann steckte er die Blumen wieder in die Vase und stellte sie, leicht schwankend und deshalb etwas unsicher, auf den Tisch zurück. Dabei verzog er angewidert sein Gesicht, schüttelte sich und tat uns allen kund: „Igitt, igitt, der Wein schmeckt aber auch gar nicht mehr.“
Zum Abschlussappell am anderen Morgen sahen wir alle recht verschwiemelt aus, doch wir überstanden ihn ehrenvoll. Danach waren wir wieder ganz ordinäre Zivilisten. Als Flakhelfer sind die meisten von unserer Truppe, mich eingeschlossen, jedoch danach nie aktiv eingesetzt gewesen.
Vergammelte Zeit!!??
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