BERUFSSCHULE
Zum festen Bestandteil der Lehrausbildung gehörte auch der Besuch der Berufsschule. Die Gubener Berufsschule, die ich besuchte, befand sich in der Schulstrasse 21. Sie war im linken Flügel der Stadtschule, Eingang Buttermarkt, untergebracht und wurde deshalb im Volksmund auch Buttermarktschule genannt. Die einzelnen Klassen hatten in der Regel wöchentlich 5 Stunden Unterricht, die entweder Vormittags von 7.00 bis 12.00 Uhr, oder Nachmittags von 13.00 bis 18.00 Uhr stattfanden. Die Lehrlinge mussten natürlich die Zeit danach oder davor an diesem Tag in ihrem Lehrbetrieb zur Arbeit gehen. Ich hatte Glück. Die Unterrichtszeit meiner Klasse war Sonnabend von 7.00 bis 12.00 Uhr, das heißt, ich brauchte nicht noch mal zum Betrieb. Natürlich gab es in der Berufsschule auch Ferien. Das war aber nur Freizeit für die Lehrer, denn wir Lehrlinge mussten während der Ferien arbeiten gehen, es sei denn, wir nahmen während dieser Zeit unseren regulären Urlaub.
Den Unterricht machte bei uns Gewerbeoberlehrer Püschel. Er war sehr korrekt, aber dennoch recht umgänglich, und er war ein ausgezeichneter Pädagoge, bei dem wir viel lernten.
Der Unterricht gliederte sich in Fachkunde, Material- und Werkzeugkunde, berufsspezifisches Rechnen und technisches Zeichnen. Grundlage bildete das Friedrichsche Tabellenbuch für Metallberufe.
Es war schon eigenartig. Anfangs grauste es mich davor, wieder in eine Schule gehen zu müssen, war ich doch zufrieden gewesen, sie endlich hinter mich gebracht zu haben. Aber auf einmal fand ich Gefallen am Lernen, denn das, was ich jetzt lernte, war ja wirklich etwas, das ich in meinem künftigen Beruf auch praktisch nutzen konnte.
Obwohl mir der Unterricht Spaß machte, gab es doch auch Abschnitte, in denen ich nicht ausgelastet war, weil mir vieles leichter von der Hand ging, als einigen meiner Klassenkameraden. Auch Herr Püschel merkte, dass ich mich streckenweise langweilte. Darum sprach er mich an: „Sag mal, Krause, hast du nicht Lust, an meinem Mathe-Zirkel teil zu nehmen. Ich habe festgestellt, dass du auf diesem Gebiet gute Anlagen besitzt, besonders, was das logische Denken betrifft. Da kannst du dir in Ergänzung des Unterrichtsstoffs eine Reihe wertvoller Kenntnisse aneignen, die dir später vielleicht von Nutzen sein können. Vielleicht machst du erst mal probeweise mit und wenn es dir gefällt, bleibst du dabei.“
‚Versuchen kann ich es ja‘, dachte ich bei mir und nahm den Vorschlag meines Lehrers an. Mit den anderen im Zirkel begann ich nun, mich zusätzlich zum regulären Unterricht mit den Grundlagen der höheren Mathematik zu beschäftigen. Ich versuchte mich im Buchstabenrechnen, der Algebra, löste Gleichungen ersten Grades mit einer Unbekannten, erarbeitete Wertetafeln mathematischer Funktionen und stellte sie graphisch dar, beschäftigte mich mit dem Satz des Pythagoras und rechnete mit binomischen Formeln. Obwohl dies alles mit zusätzlichen Anstrengungen verbunden war, begann mir die Sache richtig Spaß zu machen. Im Vergleich zu dem Widerwillen, den mir das Rechnen bei Lehrer Rohde in der Klosterschule bereitet hatte, doch eine recht erfreuliche Wandlung!
Als Modelltischler-Lehrling ging ich nicht in die Klasse der Tischler-, Schreiner- und Zimmererlehrlinge, sondern als Metallarbeiter, der ich ja war, mit Schlosser-, Schmiede-, Dreher- und Formerlehrlingen zusammen in eine Klasse. Als einziger Modelltischler-Lehrling in meiner Klasse hatte ich eine gewisse Sonderstellung, die mir in mancherlei Hinsicht auch Vorteile brachte. Da ich im Unterricht hin und wieder spezielle, berufsbedingte Aufgaben erhielt, war ich manchmal mit ihrer Lösung eher fertig, als meine Klassenkameraden aus den anderen Berufszweigen. Dadurch gewann ich oft freie Zeit, die ich für mich nutzen konnte.
Ich befand mich gerade in der Phase, wo ich mein Zeichentalent entdeckte. Ich hatte zum Beispiel zu Hause von einer Postkarte das Bild von Johannes Heesters abgezeichnet. Das war mir recht gut gelungen. Dadurch angeregt, nutzte ich eine solche Freizeit in der Berufsschule, um eine vergrößerte Bleistiftzeichnung von einem Foto meiner Tante Else anzufertigen. Ich hatte keine Gewissensbisse, Herrn Püschel am Ende des Unterrichts stolz mein ‚Kunstwerk‘ zu zeigen. Er drohte mir zwar scherzhaft mit dem Finger, akzeptierte aber meine Eigenmächtigkeit und lobte sogar, nachdem er sich das Bild besehen hatte, mein Talent.
An meine Berufsschulzeit denke ich gerne zurück. Durch sie wurden bei mir, vor allem Dank der Bemühungen des Gewerbeoberlehrers Püschel, viele gute Grundlagen gelegt und Anlagen entwickelt, die für meinen weiteren Lebensweg doch recht bedeutend waren!
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