SCHLITTSCHUHKAUF

Es war ein Winter, wie ich ihn nur als Kind in Erinnerung habe. Es war reichlich Schnee gefallen. An den Straßenrändern türmten sich endlos Wälle hoher Schneeberge, errichtet aus den Schneemassen, die beim Räumen der Bürgersteige anfielen. Die Neiße war zugefroren. Vor dem Wehr war eine größere Eisfläche vom Schnee geräumt worden. Sie war für zehn Pfennig Eintritt als Schlittschuheisbahn zu nutzen. Am Abend wurde die Eisfläche von Scheinwerfern erhellt und die Schlittschuhläufer konnten im Takt der Musik über das Eis gleiten, die über Lautsprecher ertönte. An einer Bude konnte man Bockwurst, heißen Tee, aber auch steifen Grog kaufen.

Die Eisbahn auf der Neisse vor dem Wehr (Aus Gubener Heimatbrief 2/2004, S.50)

Ich wäre auch gerne mit Schlittschuhen auf der Eisfläche umhergeflitzt, doch Schlittschuhe zu besitzen, war wohl ein Luxus, den wir uns nicht leisten konnten. So war es mir nur vergönnt, an der Ufermauer zu stehen und frierend zuzusehen, wie sich andere auf den silbernen Kufen vergnügten. Um so erstaunter war ich, als mein Vater, der sonst mit jedem Pfennig knauserte, eines Tages mit mir ins Kaufhaus ‚Karstadt‘ in der Königsstraße ging, und mir Schlittschuhe kaufte. Wer weiß, vielleicht hatte er gerade den Lohn für in Schwarzarbeit gefertigte handgenähte Schuhe erhalten, und konnte so die 5,00 RM, die meine Schlittschuhe kosteten, ausgeben, ohne die schmale Haushaltskasse zu belasten.

Auf einmal war ich auch Besitzer von Schlittschuhen. Ich konnte mein Glück gar nicht fassen. Stolz trug ich die an einem Lederriemen baumelnden Schlittschuhe. Mein Vater ging mit mir sofort zur Eisbahn, damit ich die neuen Schlittschuhe gleich ausprobieren konnte. Er half mir, die Hackenreißer mit Hilfe des dazugehörigen Vierkantschlüssels an den Schuhen zu befestigen.
Alle Schlittschuhläufer auf der Eisbahn glitten ohne große Mühe auf ihren Kufen dahin. Das Schlittschuhlaufen konnte also, so glaubte ich, gar nicht so schwer sein. Als mir aber meine Beine unter dem Hintern wegrutschten und ich unsanft auf dem harten Eis landete, wurde mir schmerzhaft bewusst: So einfach, wie es aussieht, ist es doch nicht!
Getreu der alten Weisheit: „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“, begann ich also zaghaft die Kunst des Eislaufens zu erlernen. Es sah sicher nicht sehr elegant aus, als ich x-beinig, die Schlittschuhe nach außen abgeknickt, auf dem Eis ein paar Schritte tat, um dann, die Eisenkufen aufgestellt, mit dem erreichten Schwung ein kleines Stück zu gleiten.
Bald wurde ich waghalsiger und begann mich mit einem Bein nach hinten abzustoßen, um auf dem anderen rutschend, schon recht gekonnt vorwärts zu kommen.
Neidisch schaute ich auf die anderen Schlittschuhläufer, die zischend an mir vorbeisausten und mitleidig lächelnd auf meine stümperhaften Versuche herabsahen.
Ehrgeizig versuchte ich immer aufs Neue, die Kunst des Eislaufens zu beherrschen. Bald gelang es mir, im Holländerstil, abwechselnd mit dem rechten und dem linken Bein weit ausholend, einige Meter weit über die Eisfläche zu flitzen.
Ich war recht geschafft, als ich meine ersten Eislaufversuche beendete, meine Schlittschuhe abschnallte und mit meinem Vater den Heimweg antrat. Die Füße taten mir von der ungewohnten Bewegung auf dem Eis weh. Auch ein Muskelkater deutete sich an. Und schmerzhaft spürte ich die blauen Flecken als Ergebnis der erlittenen Stürze.
Dennoch war ich glücklich!
Voller Besitzerstolz schwenkte ich am Lederriemen meine Schlittschuhe und war fest davon überzeugt, dass jeder, der uns begegnete, sah, was ich doch für ein Glückspilz war.
Man wird mir sicher glauben, wenn ich sage: An diesem Tage war mein Vater für mich der G r ö ß t e !
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