WOPPELN

Das der Frühling eingekehrt war, merkte man daran, dass die Tage länger wurden, die Sonne wärmer schien und die Natur erwachte; aber auch, dass die Kinder wieder begannen, in den Höfen und auf der Straße ihre fröhlichen Spiele zu spielen. Da sah man die Kleinsten mit den Peitschen ihre Kreisel treiben; die Mädchen wetteiferten darum, welche, nachdem sie ihren Ball an die Wand geworfen hatte, die schwierigsten Übungen machte, bevor sie ihn wieder auffing; und die Jungen vergnügten sich beim Greife- oder Versteckspiel. Wenn jedoch Ostern näher rückte, packte viele das Spielfieber; es wurde gewoppelt.

Horst Schönknecht

Auch die Kinder unseres Hauses vergnügten sich bei diesem vorösterlichen Glücksspiel. Man verwendete dafür 1–, 2–, 5– oder 10–Pfennigmünzen. Ganz verwegene spielten auch mal mit 50–Pfennig– oder 1–Mark–Stücken.
Meistens waren es Schönknechts Harry und Horst, die, mit ihren Münzen in der Hosentasche klimpernd, zum Woppeln aufforderten. Plagemanns ‚Bubi’ und seine ältere Schwester Elfriede gesellten sich dazu. Auch ich hatte meiner Mutter ein paar Pfennige abgebettelt, um mitzumachen.
Auf dem Hof wurde auf der Erde ein etwa 2 Meter langer Strich gezogen und an den Enden mit kurzen Querstrichen begrenzt. Von einem Standpunkt, etwa 10 Schritte entfernt, warf nun jeder eine bestimmte Anzahl der gleichen Münzen mit dem Ziel, den Strich zu treffen oder so nahe wie möglich an ihn heranzukommen. Der, dessen Münze dem Strich am nächsten war, durfte mit dem Woppeln beginnen. Er sammelte alle geworfenen Münzen in die hohle Hand, verschloss sie mit der anderen, schüttelte die Münzen und warf sie in die Luft. Wenn die Münzen auf dem Boden lagen, wurde nachgesehen, welche mit dem Wappen nach oben zeigten (Deshalb der Begriff Woppeln) Diese Münzen hatte der Werfer ge-wonnen. Alle Geldstücke, bei denen die Zahl nach oben zeigte, konnte nun der hochwerfen, dessen Münze die nächstnähere am Strich gewesen war, und alle mit dem Wappen nach oben gehörten ihm. So ging es in der Reihenfolge weiter, bis alle Geldstücke ‚verwoppelt‘ waren. Dann begann das Spiel von neuem.
Mit viel Übung und etwas Glück konnte man so sein Startkapital recht ansehnlich vermehren. Genau so gut konnte man aber auch recht schnell alles verlieren. Da aber Können und Glück sich selten die Waage hielten, waren herausragende Gewinne und Bankrotte eher selten, denn es konnte ohne weiteres passieren, dass die Ausbeute des ersten Wopplers recht gering ausfiel, die des letzten dagegen um so ergiebiger war. Natürlich gab es besonders unter älteren Jugendlichen auch leichtsinnige Typen, die schon mal aus Übermut mit 2–, oder 5–Markstücken woppelten. Da konnte der Verlust unter Umständen auch einmal recht spürbar sein.
Für uns Kinder jedoch blieb das Woppeln ein Spiel, mit dem wir uns oft für längere Zeit vergnügten. Nur selten stand einer von uns Abseits, weil er keine Geldstücke mehr hatte, oder musste seine Eltern anbetteln gehen, um wieder mitspielen zu können.
Frühlingszeit, Osterzeit, Woppelzeit, schöne Zeit!
vorherige SeiteSeite 47 von 164nächste Seite