ORTHOPÄDISCH TURNEN

Gewöhnlich wird man erst Tischler und bekommt dann nach und nach die typische Berufskrankheit der Tischlerinnung, einen Rundrücken. Bei mir war das Ungewöhnliche typisch: ich hatte schon als Kind einen Rundrücken und wurde erst viel später Tischler.

Meinem Turnlehrer, Herrn Schattkowsky, gefiel mein Haltungsfehler gar nicht und ich wurde oft von ihm ermahnt, gerade zu gehen.

Lehrer Johannes Schattkowsky
Mir klingt noch heute sein Mahnspruch in den Ohren: „Mensch Krause, du rennst herum, wie ein krumm-geschissenes Fragezeichen. Mehr Haltung, wenn ich bitten dürfte. Immer daran denken: Bauch rein, Brust raus, Schul-tern zurück und die Arsch-backen zusammengekniffen! Ist denn das so schwer, gerade zu gehen?“
Als sich meine Fehlhaltung aber trotz seiner ständigen Ermahnungen nicht änderte, nahm er mich beiseite. „Krause, ich glaube wir müssen aktiv etwas tun, um deine Haltung zu verbessern. Am besten, du nimmst an meiner außer-schulischen Gruppe Orthopä-disch Turnen teil“. Ich bin mir sicher, diesen Rat gab er mir nicht aus reiner Menschen-freundlichkeit, sondern, weil er aus mir gutes Material für einen brauchbaren deutschen Soldaten machen wollte.
Wie dem auch sei, ich nahm seinen Rat an, und ging von nun an zwei Mal in der Woche nach dem Unterricht in die Turnhalle zum orthopädischen Turnen. Jeder bekam eine Decke und zwei Knie– und zwei Handschoner aus Filz. Dann wurden Übungen durchgeführt, die einer Haltungsverbesserung dienen sollten. Wir rutschten auf allen Vieren, den Rücken durchgebogen, durch die Turnhalle. Wir imitierten auf unserer Decke die Haltung einer Waschfrau beim Wäscherubbeln. Mit einem kleinen Medizinball auf dem Kopf balancierend, stolzierten wir wie Störche durch die Gegend. Wir schlugen Purzelbaum und machten Brücke. Das Repertoire unseres Turnlehrers war unerschöpflich.
Ein viertel Jahr habe ich diese haltungsfördernde Therapie mitgemacht, dann schien es Herrn Schattkowsky ausreichend. Er entließ mich mit der Empfehlung, die gelernten Übungen zu Hause in meinem eigenen Interesse fleißig weiter zu praktizieren.
Da mir meine Haltung zur damaligen Zeit eigentlich völlig gleichgültig war, habe ich seine, sicher gutgemeinte, Empfehlung in den Wind geschlagen.
Erst viel, viel später, als ich schon Tanzen ging, gab ich mir selbst einen Ruck, und bemühte mich um Haltung. Ausschlaggebend dafür war der Wink eines Musikers, der meinen Tanzeifer bestaunte. „Du musst beim Tanzen nicht so einen krummen Rücken machen“, gab er mir in einer Pause unauffällig zu verstehen, „das sieht nicht gut aus und die Mädchen finden das bestimmt auch nicht schön“.
Was viele Wochen orthopädisches Turnen nur geringfügig verbessert hatten, dass korrigierte die eigene Eitelkeit im Handumdrehen!
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