ZAMPERN
Ich erinnere mich noch ganz genau: Als achtjähriger Junge bin ich das erste Mal mit gleichaltrigen in Guben Zampern gegangen.
Es war immer am Rosenmontag, wenn wir – in Anlehnung an einen sorbischen Fastnachtsbrauch, der vor allem in den Dörfern der Niederlausitz gepflegt wurde – durch die Gubener Strassen zogen und uns in den Geschäften kleine Gaben erbettelten. Zu Anfang bin ich noch ziellos mit den anderen mitgegangen. Das Ergebnis meines Zamperns war dementsprechend gering. Später hatte ich mir ein System ausgedacht, das mir größeren Erfolg brachte.
Nur mein Freund Karl und ich gingen auf Zampertour, denn je kleiner die Gruppe, um so größer der Anteil für jeden.
Wir begannen immer bei unserem Stammbäcker Stiller in der Kurmärkischen Strasse. Wir richteten es so ein, dass kein Kunde im Laden war und die jüngste Tochter alleine bediente. Dann trugen wir unser Zamper-Liedchen vor:
mir friert an den Füßchen,
lasst mich nicht so lange stehen,
ich will noch ein Häuschen weitergehen.
Da oben in der Firste,
da hängen gebratene Würste,
Die eine gibst du mir,
die andere behältst du dir.
Ich bin der kleine König,
gebt mir nicht zu wenig,
gebt mir lieber viel,
sonst komm ich mit dem Besenstiel.“
Der Lohn unseres Vortrages war dann – natürlich nur für uns Kundenkinder – ein großes Paket Kuchenränder, und von der Bäckertochter, die sehr gutmütig war, meist noch zusätzlich einen eingedrückten Goldberg oder einen krummen Liebesknochen oben drauf.
Dann ging es zu unserem Fleischer Steinke gleich nebenan. Hier war es wichtig, es so einzurichten, dass der Meister nicht im Laden war. Dann bekamen wir nicht nur, wie in der Regel üblich, ein paar Wurstzipfel, sondern jeder von uns mindestens noch ein Zießchen* in die Hand gedrückt.
Als nächstes machten wir bei unserem Kaufmann Scholz, einem freundlichen Kleinhändler, halt. Bei ihm war es von Vorteil, dass Kunden im Laden waren, wenn wir unser Liedchen vortrugen. Da zeigte er sich gewöhnlich großzügiger; und mit einem kleinen Scherz reichte er jedem von uns einen Lutscher über den Ladentisch. Andere bekamen nur einen Bonbon.
Erst wenn wir diese sicheren Quellen abgeschöpft hatten gingen wir andere uns bekannte Geschäfte abklappern, wie die Süße Quelle, Fischhändler Krause, Bäcker Fritsche und andere, wo unsere Zamperei auch nicht ganz ergebnislos, in der Regel aber magerer ausfiel.
Es war meistens schon dunkel, wenn wir durchgefroren, aber glücklich und zufrieden wieder nach Hause kamen. Nachdem wir unsere erzamperten Gaben aufgeteilt hatten, es waren manchmal sogar ein paar Pfennige dabei, machten wir uns gemeinsam ans Verspeisen der leckeren Spenden.
Dabei dachten wir schon mit leichtem Grausen an den Aschermittwoch, wo wir uns mit harten Knoten im Taschentuch, einige machten sie wegen der größeren Wirkung auch nass oder banden kleine Eisstücke mit hinein, gegenseitig verprügelten.
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