III. WELTFESTSPIELE 1951 IN BERLIN

Die Lehrer und Studenten der FDGB-Schule Brandenburg in Bestensee erhielten vom Bundesvorstand des FDGB den Auftrag, während der 3. Weltfestspiele vom 9. bis 15. August 1951 in Berlin westdeutsche Jugendfreunde zu betreuen.
In Schwerin erwarteten wir unsere Gäste. Unser Lehrgang war in einer alten Schule einquartiert. In der Turnhalle waren für uns Stroh und Matratzen ausgelegt und jeder erhielt zwei Decken. Unsere Koffer unter dem Kopf, kampierten wir so bis zum Eintreffen der westdeutschen Jugendfreunde.
Da wir nichts weiter zu tun hatten, zogen wir tagsüber durch Schwerin und sahen uns das Schloss und die anderen Sehenswürdigkeiten an, oder flanierten um den Pfaffenteich, der inmitten der Stadt liegt. Abends ging ich oft mit einigen anderen jungen Gewerkschaftsschülern in ein kleines, nahegelegenes Tanzlokal. Hier hatte ich eine nette Liaison mit einem Schweriner Mädchen. Aber es blieb eine flüchtige Episode. Heute würde man neudeutsch sagen, es war ein „one night stand“.
Die westdeutschen Jugendfreunde kamen nicht als geschlossene Delegation, sondern trafen nach und nach in kleineren Gruppen in Schwerin ein. Deshalb habe ich die Eröffnung der 3. Weltfestspiele nicht miterlebt, weil meine Gruppe erst danach vollzählig war und wir dadurch später in Berlin ankamen.
Um das zu begreifen, muss man sich die damalige Situation vergegen-wärtigen. In der BRD war die Remilitarisierung voll im Gange. Es gab die Bestrebungen, eine Volksabstimmung gegen die Remilitarisierung und für den Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland durchzuführen. Dem gegenüber gab es in der BRD den Verbotsantrag gegen die KPD und im Juni 1951 wurde dort die westdeutsche „Freie Deutsche Jugend“ verboten. Ein Riesenaufgebot westdeutscher Polizei war bemüht, die Jugendlichen aus der BRD an der Teilnahme bei den Weltfestspielen zu hindern. Deshalb gelang es ihnen nicht auf Anhieb, in die DDR zu kommen. Oft waren mehrere Versuche erforderlich. Von einer Gruppe erfuhren wir, dass sie eine Dampferfahrt auf der Elbe unternommen hatten. Auf Kommando sind dann alle über Bord gesprungen und zu uns geschwommen.
Die Gruppe, die ich zu betreuen hatte, bestand aus 11 Jugendfreunden. Es waren drei Ehepaare und fünf einzelne Jugendliche. Nicht alle waren in der FDJ. Ein Ehepaar zum Beispiel kam, um, wie es selbst unverhohlen zugab, in Berlin ein paar schöne Tage zu verleben. Und einen Teilnehmer meiner Gruppe habe ich während der gesamten Zeit nur drei Mal gesehen: Am ersten und am letzten Tag und am Tage der Demonstration über den Marx-Engels-Platz.
Wir waren alle in Privatquartieren in Berlin-Rahnsdorf untergebracht.
Viele schöne Erlebnisse sind mir aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben. Wir besuchten in der Stalin-Allee das Hochhaus an der Weberwiese. Auch zu Veranstaltungen in der dortigen neuen Sport- und Kongresshalle bekamen wir Karten. Besonders beeindruckend war aber die große Sportschau im Walter Ulbricht-Stadion, bei der auch die französische Friedenskämpferin Raimonde Dien anwesend war. Von vielen ausländischen Festival-Teilnehmern bekam ich auf einem Bild von Stalin Autogramme. (Siehe Abbildung)

Zur großen Demonstration auf dem Marx-Engels-Platz galt es, eine hundertprozentige Teilnahme zu sichern. Um fünf Uhr früh standen die Lastwagen bereit, die uns zu unseren Stellplätzen brachten.
Um drei Uhr begann ich, meine elf westdeutschen Jugendlichen zusammen zu trommeln. Das war gar nicht so leicht, denn es war dunkel und die Privatquartiere nicht immer leicht zu finden. Meinen Außenseiter, der immer allein unterwegs war, und selten zu sehen war, habe ich zuletzt geweckt und gleich mitgenommen, um sicher zu gehen, dass er an der Demonstration teilnahm.
Mit einem Jugendfreund aus Hamburg, der mit mir im gleichen Haus einquartiert war, hatte ich engeren freundschaftlichen Kontakt. Er erzählte mir, wie die Jugend in der BRD lebt, wie die FDJ arbeitet, welche Probleme es gibt und wie sie bemüht sind, sie zu lösen und wie es in Hamburg zugeht. Natürlich berichtete er auch über sich, seine Freundschaften und seine Liebschaften.
Aber auch die Probleme unserer Entwicklung in der DDR wurden diskutiert.
Er sah zum Beispiel jeden Früh, wir wuschen uns draußen auf dem Hof, dass ich meine Erfa-Rasierklinge in einem Wasserglas schärfte. Er wunderte sich logischer Weise darüber, dass unsere Rasierklingen so schlecht sind und diskutierte mit mir darüber. Eine andere Frage, die ihn sehr bewegte, war, ob man sich in der DDR auch privat ein Auto kaufen könne?
Günter, so hieß der Jugendfreund, (leider weiß ich seinen Nachnamen nicht mehr) schrieb mir nach seiner Rückkehr noch einmal aus Hamburg. Sein Brief ist sehr aufschlussreich, deshalb will ich ihn hier in Auszügen wiedergeben:

„Hamburg d. 20. 9. 51
Lieber Werner!

Endlich habe ich mich nun aufgerafft, um Dir zu schreiben. Es wird ein langer Brief werden, denn ich habe Dir viel zu erzählen. Auch unsere Heimreise will ich Dir genau schildern, selbst auf die Gefahr hin, dass Du schon zehn Briefe von anderen Freunden bekommen hast und den Grenzübergang auswendig kennst. Dann würde ich Dich allerdings bedauern, denn Menschen, die eine umfangreiche Korrespondenz führen, sind immer bedauernswert.
Also nun zur Rückreise. Von Schöneiche ging es mit dem Lastwagen über Königswusterhausen um Berlin herum, um den Westsektor zu meiden. Inzwischen verlängerte sich unsere Fahrzeugkolonne um einige hundert Wagen. Die Vopo auf ihren Motorrädern begleitete uns. Vorne weg fuhr ein Autobus, ein Saniwagen, P.K.Ws und Vopo
Die Volkspolizei erzählte uns nachher, dass die Kolonne 10 Km lang war, und dass sie mit ihren Rädern vom Ende bis zur Spitze 1 Stunde fahren müssten. Daraus kannst Du ersehen, welches Aufsehen wir erregten. Wir fuhren durch wunderschöne Landschaft. Dann ging es über Brandenburg, Magdeburg und am anderen Morgen waren wir in Helmstedt. Wir versammelten uns alle, wir waren 6000 und die Vopo begleitete uns noch bis zum Schlagbaum. Die DEFA war auch da und kurbelte uns wild. Dann gingen wir dicht an dicht langsamen Schrittes durch das Niemandsland auf den Westen zu. Wir nahmen die ganze Straßenbreite ein von 1 Km Länge. Dann kamen wir an den Schlagbaum, dort standen zwei Grenzer. Sie waren natürlich schlau genug, um uns am passieren der Grenze nicht zu hindern und wir gingen immer weiter in Richtung Bahnhof. Nach 20 Minuten kam Polizei, Polizei und noch mal Polizei, den Sturmriemen des Helmes herunter gelassen und den Gummiknüppel in der Hand. Und je weiter wir kamen, desto dichter standen sie zu beiden Seiten Spalier. Wir wurden dann auf einen Sportplatz getrieben und mussten dort bis zum Abend warten. Es wurde uns alles weggenommen, was wir von drüben mitgebracht hatten. Um die Mittagszeit kamen einige Dutzend L.K.Ws mit Grenzschutz und machten militärische Übungen; Anscheinend wollten sie uns imponieren.
Am Abend kamen wir, die Hamburger, dran und wurden kontrolliert. Dann ging es ab zum Bahnhof. Die Bahnverwaltung setzte einen Sonderzug ein und macht mit rasch festgelegten Höchstpreisen ein „Bombengeschäft“. Nachts waren wir dann in Hamburg sehr zerschlagen von der langen Reise. Hier hat sich inzwischen vieles verändert. Die Preise sind noch mehr in die Höhe geklettert und die Remilitarisierung wird noch dreister und beschleunigter vorangetrieben. Ich bin immer noch arbeitslos. Bin dafür aber noch tiefer in der „Bewegung“ und oft bis in die Nacht hinein beschäftigt......
......Den Brief Deines Kollegen habe ich bekommen und ich danke Dir für Deine freundliche Vermittlung. Leider wird es mir jedoch nicht möglich sein, immer pünktlich zu schreiben, denn meine Zeit ist infolge meiner Arbeit sehr in Anspruch genommen. Meine Sachen, die ich in Berlin zurück gelassen hatte, sind mir noch nicht nachgesandt worden. Ich habe von meinen Wirtsleuten auf meinen Brief hin auch noch keine Antwort erhalten. Nun schrieb ich das zweite Mal per Einschreiben und hoffe, endlich etwas zu hören, denn es wäre doch schade um die Sachen. Wenn Du mir nun demnächst auch einen Brief schreibst, so würde ich mich sehr freuen, von Dir näheres zu erfahren, was Deine Arbeit macht und wie es Dir geht. Ich kann dies ja aus begreiflichen Gründen nicht alles schreiben. Bis zum nächsten Mal wünsche ich Dir alles Gute.
Mit freundlichen Grüßen

Günter“


Ich bekam für die westdeutschen Jugendfreunde, die ich betreute, zu vielen Veranstaltungen Eintrittskarten. Es waren in der Regel aber immer nur für jede Veranstaltung 2 bis 3 Karten, so dass wir nie als Gruppe irgendwo hingehen konnten. Da wir Betreuer die Anweisung hatten, die Karten an unsere Gruppenmitglieder zu verteilen, war ich an manchen Tagen ganz allein unterwegs. Auch am vorletzten Abend der Weltfestspiele musste ich mich allein auf den Weg begeben, um im Plänterwald an einer öffentlichen Großveran-staltung teilzunehmen, welche mit einem großen Feuerwerk endete. Ich hatte in der Nähe der Bühne unter einer Baumgruppe einen recht guten Platz gefunden und es mir auf dem Rasen bequem gemacht.
Obwohl viele tausend Jugendliche den Platz bevölkerten, fühlte ich mich recht einsam. Deshalb freute ich mich, als ein junges Mädchen in blauer FDJ-Bluse neben mir Platz nahm. Sie war mir schon aufgefallen, weil sie bereits einige Male an mir vorbei geschlendert war. Sicher hatte sie erst Ausschau gehalten, bevor sie sich für mich entschieden hatte.
Egal! Ich war froh, dass ich nicht mehr allein sitzen musste. Wir kamen ins Gespräch und uns näher. Auf so einem Festival geht das schnell. Während des Feuerwerks saßen wir schon eng aneinander geschmiegt und tauschten Zärtlichkeiten aus.

Mit Rosi im Garten ihrer Eltern
Rosi, so hieß sie, war 19 Jahre alt. Sie arbeitete im Reichsbahn-Ministerium in Berlin. Mit ihrem Freund, so erzählte sie mir, hatte sie sich zerstritten. Sie war also solo. Sie hatte dunkel-blondes, gewelltes Haar. Aus ihrem runden, freund-lichen Gesicht blickten, leicht melancholisch, ein paar braune Augen. Sie war nicht dick. Mit ihrem fülligen Busen und den runden Hüften konnte man eher von einer stattlichen Figur sprechen. Ihr Fleisch war fest und ihre Haut glatt und warm. Sie gefiel mir! Und ich gefiel ihr auch. Eine „Festival-Liebelei“ hatte begonnen.
Als Kavalier fragte ich sie natürlich nach Beendi-gung der Veranstaltung: „Hast du was dagegen, wenn ich dich nach Hause begleite?“
„Ich habe nichts dagegen, im Gegenteil, ich freue mich darüber“, gab sie mir ihre Zustimmung, machte mich aber mit einem hintergründigen Lächeln gleichzeitig darauf aufmerksam, „du darfst nicht erschrecken, wir werden etwa eine dreiviertel Stunde mit der S-Bahn unterwegs sein, denn ich wohne in Berlin-Karow, das liegt weit im Norden von Berlin an der Bahnstrecke nach Bernau“.
Da wir als Festivalteilnehmer umsonst mit der S-Bahn fahren konnten, war mir das egal.
Es war schon weit nach 1,oo Uhr, als wir in Berlin-Karow ankamen. Sie wohnte bei ihren Eltern, die, etwa fünf Minuten vom S-Bahnhof entfernt, ein Siedlungshäuschen mit Garten besaßen. Wir machten es uns in der Veranda auf einem alten Sofa bequem und spielten das alte Spiel der Liebe. Ich hatte ja Zeit, denn der erste S-Bahnzug fuhr erst wieder um 4,oo Uhr in der Frühe. Etwas später kam ihre jüngere Schwester mit ihrem Freund dazu. Auch sie beanspruchten natürlich einen Platz auf dem Sofa. Da es aber für Vier nebeneinander zu eng war, blieb uns nichts weiter übrig, als die Mädchen auf den Schoß zu nehmen, was die ganze Sache noch prickelnder machte. Aber wir störten uns gegenseitig nicht, denn jeder hatte ja mit sich zu tun.
Ich war ganz schön müde und zerschlagen, als ich mich von meiner Festivalbekanntschaft verabschiedete. Auf der Rückfahrt merkte ich erst, worauf ich mich da eingelassen hatte; denn bis zu meinem Quartier in Berlin-Rahnsdorf, im Süden Berlins, war ich noch gut eine und eine halbe Stunden unterwegs.
Die westdeutschen Freunde reisten nicht sofort nach Beendigung der Weltfestspiele am 15. August wieder in ihre Heimatorte, sondern blieben noch eine Woche unsere Gäste. Als ihr Betreuer hatte ich in dieser Woche wenig zu tun. Darum blieb mir viel Zeit, mich regelmäßig mit meiner neuen Freundin zu treffen und gemeinsam viele schöne Stunden (meistens bis spät in die Nacht hinein) zu verleben. Den Schlaf, den ich dadurch versäumte, konnte ich ja am Tage nachholen, denn besondere Verpflichtungen hatte ich ja nicht.
Am Freitag, dem 21. August wurden unsere westdeutschen Festivalbesucher verabschiedet. Damit endete auch mein Einsatz in Berlin und ich fuhr, von den „Anstrengungen“ besonders der letzten Tage gezeichnet, nach Frankfurt zurück. Da ich erst am Montag wieder zur FDGB-Schule nach Bestensee musste, hatte ich, so dachte ich in meinem jugendlichen Leichtsinn, genügend Zeit, mich zu erholen.
Sonnabend Nachmittag, ich hatte gerade überlegt, ob ich noch in den „Leipziger Garten“ zum Tanz gehen sollte, klingelte es an unserer Wohnungstür. Als ich öffnete, fiel ich aus allen Wolken, denn vor der Tür stand Rosi, meine Festivalfreundin aus Berlin! Dummerweise hatte ich ihr zum Abschied meine richtige Adresse gegeben, aber wer denkt schon daran, dass das so schamlos ausgenutzt wird; denn in meinem Alter damals galt das Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn!
„Hallo, Werner“, fiel sie mir um den Hals, „ich hatte so Sehnsucht nach dir, du hast doch nichts dagegen, das ich dich so überraschend hier in Frankfurt besuchen komme!!!??? Ich habe Zeit und kann bis morgen bleiben!“
„Da freue ich mich aber, das du mich besuchen kommst!“, log ich und hatte Mühe, dabei ein freudiges Gesicht zu machen; denn mir war klar, meine wohlverdiente Ruhe fand ich an diesem Wochenende nicht mehr.
Sie war sehr hartnäckig! So kam sie noch mehrere Male nach Bestensee, wo ich an der Gewerkschaftsschule als Lehrer arbeitete. Unter anderem brachte sie mir die Bilder, die ihre Schwester von uns beiden gemacht hatte, und die ich, wie man sehen kann, noch heute besitze.
In meiner neuen Tätigkeit als Lehrer an der Gewerkschaftsschule hatte ich neue Aufgaben und viele Probleme zu lösen. So verliefen die Besuche nicht immer nach ihren Vorstellungen. Oft hatte ich keine Zeit, mich mit ihr zu beschäftigen. Darum stellte sie mich, als sie wieder einmal unverrichteter Dinge nach Bestensee gekommen war, vor die Alternative: „Du musst dich schon entscheiden, entweder ich, oder deine Schule! Sonst haben wir uns heute das letzte Mal gesehen!“
Dieses Klammern von ihr war mir schon lange auf den Geist gegangen. Deshalb entschied ich mich damals demonstrativ für meine Schule.
Damit endete abrupt dieses Festivalverhältnis!!! Und die Erlebnisse während der III. Weltfestspiele im August 1951 in Berlin waren nur noch Erinnerung!
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