NEUE SCHUHE VON PAULCHEN
Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre schwappte die Boggi-Woggi Welle aus den USA nach Westdeutschland über und kam von dort auch in die DDR. In diesem Zusammenhang wurden auch Schuhe mit Specksohlen modern. Nicht jeder hatte die Möglichkeit, sich über seine Verwandten im Westen solche Schuhe zu besorgen. Die Not machte deshalb erfinderisch.
Eines Tages präsentierte sich der Schlagzeuger aus der Kapelle in der Gaststätte Kupferhammer, ein kleines, pfiffiges Kerlchen, stolz mit Schuhen, die solche dicke Specksohle hatten.
Auf unsere verwunderte Frage, wo er sie her hätte, sagte er uns verschmitzt: „Die habe ich mir selber gemacht“.
Wir machten ungläubige Gesichter.
Daraufhin zog er einen Schuh aus und zeigte uns sein Kunstwerk. Er hatte sich von alten Autoreifen die Sohlen zurecht geschnitten und unter seine Schuhe genagelt. Von nahem sah man, wie dilettantisch grob das Ganze gemacht war, doch von weitem sahen sie wie echte Boggi-Woggi Schuhe aus.
Im Dezember 1950 kam mein Freund Paul zu mir und informierte mich freudestrahlend: „Du, Werner, ich kenne in Kirchhain einen Handschuhmacher, der stellt ganz billig handgefertigte Lederschuhe mit dicker Kreppsohle her. Wenn du Interesse hast, kann ich dir ein Paar bestellen. Es dauert ungefähr 3 Monate“.
„Mensch Paul, natürlich bin ich daran interessiert“, war ich Feuer und Flamme. „Aber du weißt doch, im Januar nächsten Jahres gehe ich zur FDGB Schule. Wie komme ich denn dann zu meinen Schuhen“, gab ich zu bedenken.
„Da mache dir man keine Sorgen. Du lässt mir das Geld und deine neue Adresse hier, und wenn die Schuhe fertig sind, schicke ich sie dir. Das ist doch kein Problem“, zerstreute Paul meine Bedenken.
Wir machten also die Schablonen für die zu fertigenden Schuhe. Von beiden Füßen wurden die Umrisse auf eine Pappe gezeichnet, und mit einem Metermaß über Ferse und Fußrist die Spannhöhe gemessen. Das alles übergab Paul dem Handschuhmacher. Er versprach, die Schuhe bis Anfang März fertig zu stellen.
Es dauert dann aber doch länger, als versprochen!
Erst Anfang Mai 1951, ich arbeitete in der Zwischenzeit schon an der FDGB-Schule in Bestensee, kam von Paul das Paket mit den neuen Schuhen. In dem beiliegenden Brief vom 27. April schrieb Paul:
„Lieber Werner!
Entschuldige bitte, dass ich erst jetzt die Schuhe schicke. In den letzten Wochen ging bei uns hier alles drunter und drüber. Morgen haben wir Vergnügen, wo die Brigaden prämiert werden. Das sollen wir mit Gesang, Volkstanz und Laienspiel umrahmen. Ich bin in der letzten Woche nur noch zum Schlafen zu Hause gewesen. Also sei mir bitte nicht so böse.
Die Schuhe sind prima ausgefallen. Du wirst Dich bestimmt darüber freuen. Der Preis beträgt 69,oo DM. Die Quittung von Tommack ist für die Anfertigung, der Rest für das Material.
Wie geht es Dir noch. Ist das Leben noch frisch. Kannst Dich ja mal melden, wenn Du Zeit hast.
Sei nun herzlich gegrüßt
Von Deinem Paul
PS.
Nachträglich noch meinen herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.
Das restliche Geld schicke ich per Postanweisung.
Die Schuhe waren wirklich chic. Mit dem weichen hellbraunen Oberleder und den dicken Kreppsohlen sahen sie sehr elegant aus. Ich habe mich ehrlich darüber gefreut. Ich habe richtig die neidischen Blicke der Kollegen gespürt, als ich sie das erste Mal anhatte. Sie waren modern und dazu noch recht bequem. Sie haben mir lange Zeit gute Dienste geleistet. Doch Boggi-Woggi habe ich damit nicht einmal getanzt!
- Faksimile des Briefes und der Quittung
von Paul für die neuen Schuhe.
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