DAS BOOTSHAUS AM DEULOWITZER SEE

Wenn wir vor 1945 an den Deulowitzer See zum Baden fuhren, dann durften wir nur den Oststrand benutzen. Das gesamte Westufer des Sees war im Besitz des Gubener Hutfabrikanten Wilke. Er hatte sich auf dem Gelände die Villa „Seehof“ errichten lassen. Man konnte sie damals aber, wegen der hohen Bäume, nicht sehe. Lediglich das dazu gehörige Bootshaus mit seinem rustikalen Schilfdach und der gähnenden Öffnung für das Boot war sichtbar, das auf seinen Pfählen recht großspurig im Wasser stand und vom Reichtum seines Besitzers kündete.

Das Bootshaus am Deulowitzer See
Das gesamte Gelände um den Seehof war eingezäunt und für Fremde das Betreten verboten. Auch quer über den See waren Bojen verankert, auf denen Schilder mit der Aufschrift befestigt waren: „Für Schwimmer halt!“, um Fremden auch von der Seeseite her den Zugang zum Privatgelände zu verwehren.
Der Hutfabrikant hatte aus Sicherheitsgründen vor der Abgrenzung zwei Flöße im Wasser platziert, um ermüdeten Schwimmern die Möglichkeit zu geben, sich etwas auszuruhen, bevor sie wieder zurück schwimmen mussten.
Nach 1945 wurde der „Seehof“ von der VdgB(BHG) übernommen und als Hotel und Gaststätte genutzt. Das begrüßten wir sehr, denn dadurch blieben die Türen in den Zäunen für jeden geöffnet und wir hatten so die Möglichkeit, das gesamte Ufer des Sees zu benutzen.
Wenn wir am See zelteten, konnten wir uns in der Küche des „Seehofs“ unser Mittagessen bereiten lassen. Das kam uns recht billig. Etwas Mehl und Margarine brachten wir von zu Hause mit, die Kartoffeln klauten wir uns auf den umliegenden Feldern und aus der betriebseigenen Gärtnerei bekamen wir von der Köchin Gemüse der Saison als Beilage. Wir brauchten nur die Zubereitung und das Gemüse zu bezahlen.
Natürlich stromerten wir auf dem Gelände des „Seehofs“ umher. Am Südwestufer des Sees im breiten Schilfgürtel entdeckten wir ein Hausboot, welches ebenfalls der Familie des Hutfabrikanten gehört hatte. Es lag dort auf Grund und ragte nur noch mit den Aufbauten aus dem Wasser. Das Hausboot war nicht mehr schwimmfähig und die Einrichtung völlig demoliert. So vergammelte es zusehends und niemand kümmerte sich mehr um das Wrack.
Wir inspizierten auch das Bootshaus. Die Tür war zwar verschlossen, aber von der Wasserseite her war es kein Problem, hinein zu kommen. Es war noch recht gut in Schuss, nur im Schilfdach befand sich ein großes Loch. Dort regnete es hinein und das Gebälk begann zu verfaulen. Hin und wieder legten wir uns heimlich auf der Plattform oder auf der kleinen Dachterrasse zum Sonnen.
Der „Seehof“ am Deulowitzer See(
Messblattauszug). Der Pfeil weist auf die
Lage des Bootshauses hin
Im Juli 1946 bekam die Orts-gruppe der FDJ das Bootshaus als Jugendheim zur Nutzung! Ich möch-te hier in diesem Zusammenhang auf einen Fakt aufmerksam machen, der leider nirgendwo in den einschlägi-gen Dokumenten erwähnt wird: Die Jugendlichen unseres Betriebes, des VEB GUS Gubener Eisenwerke, übernahmen damals die Patenschaft über das Bootshaus und arbeiteten in den Sommermonaten der Jahre 1947-49 auf freiwilliger Basis aktiv an der Werterhaltung des Gebäudes.
Sogar der Überschuss aus dem IG-Metall Vergnügen vom November 1948, er betrug 500,oo Mark, wurde genutzt, um Bretter zu kaufen und damit das Loch im Schilfdach zu schließen. Horst Geißler, bei uns im Betrieb Schlosser, half uns, dafür die erforderliche Freigabe für das Holz zu bekommen. Horst war es auch, der unter recht schwierigen Bedingungen die Reling am vergammelnden Hausboot abmontierte, um sie zur Sicherung an der Bootshausplattform anzubringen.
Als wie das erste Mal offiziell das Bootshaus betraten, den Schlüssel bekamen wir im „Seehof“, freuten wir uns, dass sogar das Licht brannte. Auch die Steckdosen hatten Strom. Deshalb brachten wir uns einen Elektrokocher mit, um uns unser Mittagessen selbst zu bereiten. Leider war das nur ein kurzes Vergnügen, denn plötzlich stand der Pächter des „Seehofes“ im Bootshaus.
„Jungens“, sprach er uns an, „als ich vorhin am Lichtzähler vorbei ging, wunderte ich mich, dass er so rast! Jetzt weiß ich den Grund! Euer Kocher ist es, der so viel Strom frisst! So geht das aber nicht. Bevor da keine verbindliche Regelung getroffen ist, dürft ihr den Kocher nicht mehr benutzen. Das Licht lasse ich euch an. Wenn ihr euch aber nicht daran haltet, muss ich euch den Strom leider ganz abschalten.
Wochenende für Wochenende zog ich mit ein paar Jugendlichen unseres Betriebes zu Fuß zum Bootshaus, in einem kleinen Handwagen die erforderlichen Werkzeuge, notwendiges Material und auch unsere Verpflegung mitführend, um erforderliche Reparaturen am Gebäude durchzuführen.
An einem Herbsttag war ich mit meinem Freund Manfred auch wieder unterwegs zum Deulowitzer See. Als wir durch Kaltenborn fuhren, leuchteten uns hinter einem schmalen Acker an der Grenze eines Bauerngehöftes saftige blaue Bauernpflaumen verführerisch entgegen. Wir konnten nicht widerstehen und pflückten uns eine Handvoll der reifen Früchte.
Frohes Jugendleben im Bootshaus (1952), das Foto hat mir Paul Krieger zur Verfügung gestellt
Plötzlich sauste der Bauer heran, nahm uns am Schlafittchen und brüllte uns an: „Endlich habe ich euch, ihr verdammtes Gesindel aus der Stadt. Ihr habt wohl überhaupt keine Skrupel. Klaut mir hier die letzten paar Pflaumen vom Baum“. Während dieser Schimpfkanonade versuchte er auch, sich unseres Handwagens zu bemächtigen, dachte er doch, in dem Sack wären die bei ihm geklauten Pflaumen. Bei dem Gerangel rutschte unser Verpflegungsbeutel aus dem Rucksack und das Mehl für unser Mittagsmahl stiebte auf die Erde.
Jetzt hatten wir allen Grund, uns zu entrüsten: „Wir wollten ihnen nicht die Pflaumen klauen. Wir wollten nur ein paar essen. Das ist doch nicht verboten. Nun sehen sie, was sie angerichtet haben. Wir haben schon wenig zu beißen, und das bisschen ist nun auch noch verdorben.“
Der Bauer sah schließlich ein, dass er mit uns die falschen erwischt hatte. Nachdem er sich beruhigt hatte, trennten wir uns friedlich. Er gab uns sogar noch einige Handvoll Pflaumen mit auf den Weg.
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