DIE LUFTSCHAUKEL
Nach der Frühstückspause machte ich, wie so oft, meinen kleinen Betriebsrundgang. Das machen gewöhnlich nur Chefs, um den Überblick über ihren Verantwortungsbereich zu behalten, oder durch ihre Präsens den Arbeitseifer anzustacheln. Ich hatte mir diese Angewohnheit von meinem Lehrgesellen abgeschaut. Der machte es zu meiner Lehrzeit ähnlich, und wir Lehrlinge nutzten damals seine Abwesenheit meistens, um Privatarbeiten zu machen.
Als ich so durch die Schlosserei schlenderte, entdeckte ich zwei im Rohbau fertige Schiffchen, wie sie bei Luftschaukeln verwendet werden.
„Ja, weißt du denn noch nicht, dass wir für den Vergnügungs-geschäftsunternehmer H a u s m a n n eine Luftschaukel bauen?“, berichtete mir der Schlosser Paul Gellert, der daran arbeitete, auf meine verwunderte Frage.
Da ich auf dem Jahrmarkt schon immer eine Vorliebe für Luftschaukeln hatte, war ich über diese Information sehr erfreut..
Bei Eva Kubein (Sie hieß wirklich so!), unserer technischen Zeichnerin, bekam ich dann nähere Informationen, und auch Einblicke in die Konstruktionszeichnung, die sie nach alten Unterlagen und Fotos von Hausmann angefertigt hatte.
Hausmann, ein bekannter Gubener Jahrmarktbuden- und Fahrgeschäft-betreiber, dem durch den Krieg sein Karussell und seine Luftschaukel vernichtet worden waren, hatte sie in Auftrag gegeben.
Unser Betrieb, der damals vor allem Stubbenrodegeräte, Plinztiegel und Kochtöpfe produzierte, setzte alles daran, um an einem so ungewöhnlichen Auftrag seine Möglichkeiten und sein Können zu demonstrieren.
Wir bauten also damals, Anfang 1947, ohne darin Erfahrungen zu besitzen, eine Luftschaukel mit acht Schiffchen, vier auf jeder Seite.
Auch wir Tischler hatten unseren Anteil an diesem Jahrmarkts-vergnügungsgerät zu leisten. Wir bauten das Gerüst für die Aufhängung der Schaukeln und fertigten die Sitze für die Schiffchen sowie die Kufen und die Bohlen für die Bremsanlage. So ein Schaukelgerüst für eine Luftschaukel zu bauen wäre eigentlich eine Aufgabe für einen Zimmermann gewesen. Aber wir haben sie als Modelltischler auch bewältigt! Wir haben in diesem Zusammenhang damals recht überheblich unser Wirken an der Luftschaukel mit der Einsteinschen Relativitätstheorie begründet: Zimmermannsarbeit zu machen ist, so räsonierten wir, für einen Modelltischler relativ leicht! Umgekehrt ist es für einen Zimmermann relativ schwierig, die Arbeit eines Modelltischlers zu machen!
Der Zusammenbau der Luftschaukel erfolgte auf dem Betriebshof, der hinter der Schmiede in Richtung Grunewalder– und Uferstrasse lag. Viele Gubener sind während dieser Zeit in den Abendstunden und an den Wochenenden dort entlang spaziert, um zu sehen, was wir dort machten und sich am Fortschreiten unserer Arbeit zu freuen.
Als die ersten Schaukeln hingen, waren die Kollegen nicht zu bremsen. Jeder wollte sie ausprobieren. Die Sicherheit verlangte es aber, diesem wilden Treiben schnell Einhalt zu gebieten, denn solange der Bremsmechanismus nicht richtig funktionierte, war das lebensgefährlich. Aber eins hatten wir dabei festgestellt; weil der Abstand der Schaukelaufhängung zum oberen Trägerbalken zu gering bemessen worden war, drückte das Gestänge der Schiffchen schon bei geringem Schaukelschwung gegen den Balken. Oder anders gesagt, man konnte nicht hoch genug schaukeln. Deshalb musste der Mechanismus noch einmal verändert werden.
Der Bau der Bremsanlage für die Schiffchen war jedoch die schwierigste Aufgabe. Es war gar nicht so einfach, sie richtig einzustellen. Die Schaukeln durften ja nicht mit einem Ruck stehen bleiben, weil dadurch die Fahrgäste hinausgeschleudert worden wären, sonder mussten ganz langsam an Schwung verlieren und deshalb behutsam abgebremst werden. Aber auch dieses Problem wurde zur Zufriedenheit unseres Auftraggebers, natürlich unter Ausnutzung seiner Erfahrungen, gelöst.
- Faksimile aus „Märkische Volksstimme“ vom 29. 4. 47
Die acht Schiffchen waren ständig in Beweg-ung und Herr Hausmann mit den Einnahmen sehr zufrieden. Großzügig ließ er uns, als die Erbauer, hin und wieder umsonst schaukeln.
Natürlich verkündeten wir dabei voller Stolz, dass wir in unserem Betrieb die Luftschaukel gebaut hatten.
Die gute Arbeit, die wir geleistet hatten, brachte unserem Betrieb den Auftrag zum Bau einer zweiten Luftschaukel ein. Ein Verwandter des Herrn Hausmann aus Lübbenau hatte sie bestellt.
Die Erfahrungen beim Bau der ersten Schaukel nutzend ging die Arbeit zügig voran. Nach knapp zwei Monaten konnten wir die Zweite Luftschaukel liefern.
- Gesamtansicht der Luftschaukel, die hintere Schaukel ist in Betrieb. Foto von der Familie Hausmann, aus „Gubener Heimatkalender 2005“, Seite 63
Am Abend, nach getaner Arbeit und einem kleinen Richtfest, begab sich die Truppe wieder nach Hause. Manfred und ich blieben aber noch zwei Tage in Lübbenau, sozusagen als Nachhut, um eventuell erforderliche Korrekturen, zum Beispiel an der Bremsanlage, an Ort und Stelle vornehmen zu können.
Wir schliefen, wie romantisch, in einem Zirkuswagen neben der Luftschaukel. Das war für den Besitzer auch vorteilhaft, sparte er sich doch dadurch eine zusätzliche Bewachung.
Am Sonnabend Morgen brachten uns die beiden Töchter des Unternehmers das Frühstück in den Wohnwagen.
„Habt ihr auch gut geschlafen?“, erkundigten sie sich interessiert.
„Eigentlich nicht sehr gut“, gaben wir spitzbübisch zur Antwort, „uns war kalt und wir hatten gehofft, ihr würdet kommen und uns ein wenig wärmen!“
„Oh, das tut uns aber leid“, gingen sie auf unser Wortgeplänkel ein, „wenn wir gewusst hätten, dass ihr auf uns wartet, dann wären wir ganz bestimmt gekommen.!“
Wir nutzten den Vormittag, um uns etwas den Spreewald anzusehen. Die beiden Schwestern begleiteten uns und betätigten sich als Fremdenführer. Wir waren bis im Spreewalddorf Leede, einem Naturmuseum, wo wir zum Abschluss noch gemeinsam eine leckere Süßkreme aßen, zur damaligen Zeit ein billiger Speiseeisersatz.
Am Nachmittag war reger Betrieb auf der Luftschaukel. Das Geschäft lief gut. Ich lud die ältere der beiden Schwestern zu einer gemeinsamen Luftschaukelfahrt ein.
- Teilansicht der Luftschaukel, Foto von der Familie Hausmann, aus „Gubener Heimatkalender 2005“ Seite 63
Von den Umstehenden unbemerkt stieg sie, während die Schaukel langsam ausschwang, aus ihrem rosaseidenen Slip, der auf dem Boden des Schiffchens lag, verbarg ihn geschickt in der Hand, und stieg, etwas unbeholfen den leichten Rock vorsichtshalber festhaltend, aus dem Kahn.
Es dauerte nicht lange, und sie kam, das kaputte Kleidungsstück durch ein ganzes ersetzt, wieder zurück. Außer mir hatte niemandem etwas von dem pikanten Vorfall mitbekommen. Als Kavalier tat ich jedoch so, als wäre nichts geschehen. Meine unfreiwillige Mitwisserschaft machte mich aber ungewollt zu ihrem Komplizen. Wenn wir uns ansahen, mussten wir kichern. Es wurde für uns beide noch ein vergnüglicher Nachmittag.
Ich bedauerte sehr, dass unser Auftrag erfüllt war und Manfred und ich uns an Abend in den Zug setzen mussten, um wieder nach Guben zu fahren
Jeder wird verstehen, dass ich nach diesen Erlebnissen beim Bau von Luftschaukeln den Wunsch verspürte, nur noch als Monteur im Außendienst tätig zu sein!!!???
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