WEISS WIRD MODEFARBE

Ich weiß nicht mehr genau, ob 1949 ein heißer Sommer war, der den Anlass gab, oder ob der neue Modetrend aus dem Westen zu uns herüber schwappte; Fakt war jedenfalls, Männer trugen ,weiß‘.
Ich wurde von dieser Marotte auch angesteckt und bekniete meine Mutter: „Sag mal, Mama, haben wir nicht irgendwo noch ein weißes Bettlaken liegen, das wir nicht mehr brauchen?“
„Wozu willst du denn ein weißes Bettlaken?“, fragte meine Mutter erstaunt.
„Ach weißt du, ich möchte gern ein weißes Leinen-Jackett haben, das ist nämlich jetzt modern. Zu kaufen gibt es so etwas bei uns leider noch nicht und es wäre mir sicher auch zu teuer, aber aus einem Bettlaken könntest du mir doch eins nähen“, machte ich sie mit meinem Wunsch bekannt.
„Ein Bettlaken oder etwas ähnliches könnte ich sicher auftreiben“, machte mir meine Mutter Hoffnung, „aber ich bin mir nicht sicher, ob ich eine Jacke für Männer nähen kann!? Bisher habe ich immer nur Kleider, Röcke und Blusen für Frauen genäht. Männersachen anzufertigen ist aber viel schwerer“, dämpfte sie gleich wieder meine aufkeimende Begeisterung.
„Na, versuchen kannst du es ja wenigstens“, stachelte ich sie an.
Sie ließ sich erweichen, suchte ein altes, schon etwas vergilbtes, leinenes Bettlaken heraus und wusch es noch einmal, damit es wieder schön weiß wurde. Dann machte sie sich an die, doch recht komplizierte und aufwendige Arbeit. Trotz anfänglicher Zweifel und manchem heimlichen Fluch gelang es ihr, mir eine ganz chice Leinenjacke zu nähen.
Sie war sportlich fesch, mit aufgesetzten Taschen und Gürtel, und passte mir ausgezeichnet.
Ich war glücklich!!!
Als ich sie das erste mal an hatte, erntete ich deshalb viele bewundernde, aber auch eine ganze Menge neidische Blicke.
Mein Freund Manfred machte meiner Mutter tolle Komplimente wegen meiner, so prima gelungenen Jacke und bat sie recht herzlich, sie möge ihm doch auch eine solche Jacke machen. Er brachte auch gleich dem erforderlichen Stoff dafür mit, eine leicht gelblich getönte Tischdecke.
„Etwas anderes hat meine Mutter leider nicht gefunden, aber ich glaube, eine Jacke in der Farbe würde mir sicherlich auch recht gut stehen“, versuchte sich Manfred zurechtfertigen.
Meine Mutter ließ sich erweichen und nähte für Manfred ebenfalls eine Jacke.
So sorgten wir beide, das Duo „Lumpi & Lucki“, durch unser Auftreten in unserer neuen weißen und gelben Jacke für erhebliches Aufsehen!

Ursel 1949
Darauf hin bekam meine Mutter eine ganze Reihe Anfragen von Freunden und Bekannten, ob sie noch Bestellungen für solche weißen Jacken entgegen nehme. Meine Mutter lehnte aber ab.
„Sag mal deinen Freunden, ich bin Damen- und nicht Herrenschneider. Ich habe nur dir und deinem Freund Manfred den Gefallen getan, eine solche Jacke zu nähen. Aber das hat mir schon gereicht. Deshalb will ich keine weiteren Jacken mehr machen“, wiegelte meine Mutter alle Versuche, sie zu überreden, ab.
Lediglich meinem Freund Ernst tat sie noch den Gefallen, und schneiderte ihm eine weiße Hose.
Man sagt landläufig, „Weiß ist die Unschuld“, das traf auf uns, die wir weiß trugen, aber in keinem Fall zu.
Vielleicht verhalf mir zum Beispiel meine neue Auf-machung, Uschi, eine niedliche Blondine, die in der Schulstraße wohnte, und auf die ich schon lange ein Auge geworfen hatte, zu erobern.

Und Ernst, der Schwerenöter, ließ auch jede ,Unschuld‘ ver-missen, als er an einem Sonntag in der Frühe, ich traf ihn zufällig, und er grinste mich an, nach Hause schwankte und unüber-sehbare grasgrüne Flecken auf den Knien seiner neuen weißen Hose hatte.
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