SIRUPKOCHER
In der Grünstraße, gleich hinter den Eisenbahngleisen, hatte ein findiger Gubener eine Sirupkocherei auf Lohnbasis eingerichtet. Vom Rat der Stadt hatte er dafür die Gewerbeerlaubnis erhalten, und von der sowjetischen Kommandantur, aus alten Wehrmachtsbeständen, drei Gulaschkanonen (Feldküchen) zur Verfügung gestellt bekommen.
Das Prinzip war einfach. Die Bürger gaben Zuckerrüben ab und erhielten dafür im Verhältnis 20:1, zum Preis von 1,00 Mark für das Pfund (= 500 Gramm), fertigen Sirup. Wer also 1 Zentner Zuckerrüben abgab, bekam dafür 5 Pfund Sirup für 5,00 Mark. Das war in der damaligen Zeit, in der auf allen Gebieten Not herrschte, für die Bürger vorteilhaft und auch praktisch. Für den Unternehmer aber war es ein lukratives Geschäft, denn ein Zentner Rüben erbrachte mindestens 8 Pfund Sirup, so das er 3 Pfund für sich herausschlug, die er auf dem Schwarzmarkt für 20,00 bis 30,00 Mark pro Pfund verkaufen konnte.
Das Geschäft lief gut! Bald war der Inhaber nicht mehr allein in der Lage, die anfallende Arbeit zu bewältigen und stellte einen Hilfsarbeiter ein. Mein Freund Manfred hatte Glück und wurde in der Sirupkocherei Hilfssirupkocher. Seine Aufgabe bestand darin, die Kessel zu heizen, den einkochenden Rübensaft umzurühren, den sich dabei bildenden Schaum abzuschöpfen und an der Rampe hinter der Kocherei die Rüben anzunehmen.
Der abgeschöpfte Schaum war nicht etwa Abfall. Im Gegenteil; er wurde auf Blechen abgekühlt, dann in kleine Stücke gebrochen und als Malzbonbon-Ersatz verkauft.
Der Lohn, den Manfred für die Arbeit erhielt, war nicht besonders hoch. Was die Arbeit einigermaßen erträglich machte, war die Tatsache, das Manfred jede Woche zusätzlich ein Pfund Sirup (sozusagen als Deputat) erhielt, und sich, soviel er wollte, an dem Malzbonbon gütlich tun konnte.
Er hatte immer ein Tütchen bei sich und verteilte großzügig das klebrig-süße Zeug, das wir uns, genüsslich schmatzend, munden ließen.
Um sich vor Betrug zu schützen, hatte der Unternehmer ein simples, und wie er meinte, wirksames System eingeführt. Jeder, der Rüben abgeben wollte, musste sie dem Besitzer zeigen, bekam dann einen, von ihm abgezeichneten Wertbon, mit dem er an die Rampe fuhr, wo Manfred die Rüben abwog und das ermittelte Gewicht auf dem Bon notierte. Damit erhielt der Kunde dann beim Chef gegen Bezahlung die dafür vorgesehene Menge Sirup ausgehändigt.
Trotz dieses Sicherheitssystems hat sich Manfred mit meiner Hilfe zweimal heimlich an dem unternehmerischen Gewinn beteiligt.
Dazu hatte er jeweils einen Zentner Rüben versteckt, den ich heimlich auf meinen Handwagen lud, dann damit beim Besitzer vorfuhr, den Bon bekam, die Rüben ordnungsgemäß ( in betrügerischer Weise ein zweites Mal) abwiegen ließ und dann die 5 Pfund Sirup kassierte, die wir uns redlich teilten. Dem Unternehmer hat es nicht geschadet; uns aber genutzt.
Ich merkte, dass Manfred mit dieser Tätigkeit nicht sehr glücklich war. Er hatte während des Krieges mit einer Lehre als Landvermesser begonnen, die er nicht mehr weiterführen konnte, weil es dafür keine Lehrstellen mehr gab. Die Arbeit in der Sirupkocherei sah er nur als einen vorübergehenden Nebenjob an. Aber eine Vorstellung darüber, wie es mal weitergehen sollte, hatte er nicht.
„Weißt du was“, machte ich ihm den Vorschlag, „es gibt doch die Möglichkeit, noch einmal eine neue Lehre zu beginnen. Wie wäre es denn, wenn du dich bei uns im Betrieb als Modelltischlerlehrling bewirbst. Die drei Jahre sind schnell vergangen und du hast wenigstens einen ordentlichen Abschluss.
Nachdem er sich mit seinen Eltern beraten hatte und die Möglichkeiten einer solchen zweiten Ausbildung erkundet hatte, nahm er meinen Vorschlag an.
So kam es, dass mein Freund Manfred, nur ein Jahr jünger als ich, in unserem Betrieb eine Lehre als Modelltischler begann und ich ihm die Grundkenntnisse dieses Berufes vermittelte.
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