JUGENDSCHUTZ
Befehle der SMAD regelten Anfangs die weitere Entwicklung in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ). Dazu zählten auch Festlegungen zum Jugendschutz, die von den örtlichen Verwaltungsorganen umzusetzen waren.
Ein wichtiger Bereich dabei war unter anderem die Zurückdrängung, Vorbeugung und der Schutz vor Geschlechtskrankheiten.
So gab es in der Nachkriegszeit periodisch Razzien in den Tanzlokalen. Alle Jugendlichen wurden zur Gesundheitseinrichtung gebracht und auf Geschlechtskrankheiten untersucht. Das war recht unangenehm, wurde aber ohne großen Widerstand in Kauf genommen, denn jeder hatte ja Angst, eventuell infiziert zu sein.
In der Regel erfolgte das in der damals schon provisorisch eingerichteten Poliklinik in der ehemaligen Tuchfabrik F.W.Schmidt.
Eine ältere Schwester machte die erforderliche Arbeit. Vorsorglich warnte sie dabei jeden von uns immer aufs Neue vor den Gefahren des häufig wechselnden Geschlechtsverkehrs und verwies auch auf die Möglichkeiten, sich mit Fromm’s* zu schützen. Sicher musste sie da und dort auch auf die erforderliche Intimhygiene verweisen.
Bei ihrem Tun war sie wenig zimperlich. Mit Gummihandschuhen an den Händen langte sie sich den jeweiligen Penis, zog, wenn nötig, die Vorhaut zurück, um die Harnröhre frei zu legen und führte mit routinierter Gelassenheit die Drahtöse ein, um den erforderlichen Abstrich vorzunehmen. Nachdem sie das Sekret auf den Glasträger für das Mikroskop gestrichen hatte, glühte sie die Öse vorsorglich über einem Bunsenbrenner aus, bevor sie das Gerät in die Sterilisationswanne tat.
Dann entlies sie uns mit dem Hinweis, dass wir uns in zirka zwei Wochen den Befund von ihr abholen könnten.
Viel mehr nervte uns aber eine andere Seite der neuen Jugendschutz-verordnung. Jugendliche unter 18 Jahren durften sich danach nur bis 20,00 Uhr in Tanzlokalen aufhalten. Um diese Festlegung mit der nötigen Konsequenz durchzusetzen, machten Hilfspolizisten in Zivil regelmäßig in den Tanzlokalen Kontrollen. Ich gehörte damals zu denen, die noch keine 18 Jahre alt waren. Wir betrachteten diese Methode als regelrechte Schikane und schützten uns davor auf unsere Weise.
Im Feldschlösschen zum Beispiel mussten die Kontrolleure, um in den Saal zu gelangen, durch den Schankraum. Deshalb wurden wir meist rechtzeitig gewarnt und konnten durch die großen Fenster, die zum Garten gingen, verschwinden und uns so vor der Kontrolle in Sicherheit bringen. Waren die Hilfspolizisten wieder abgezogen, kamen wir auf dem selben Weg wieder in den Saal zurück und vergnügten uns weiter.
Eines Tages hatte ich die Nase voll von dieser unwürdigen Versteckspielerei. Als die Polizisten kamen, um ihre Kontrolle durchzuführen, blieb ich an meinem Tisch sitzen. Als sie auch mich aufforderten, meinen Ausweis zu zeigen, knallte ich ihnen mit der Bemerkung: „Tanzen nach 20,00 Uhr soll uns gefährden. Das ist doch lächerlich! Um mit 16 Jahren zu sterben, waren wir ja auch nicht zu jung!“, erbost meinen Wehrpass auf den Tisch.
Die beiden Hilfspolizisten waren wegen meines gespielten Wutausbruchs anfangs etwas verunsichert, blieben aber konsequent.
Der Ältere der Beiden, die mich kontrollierten, war bemüht, die Situation zu entschärfen, denn einige Gäste in der Nähe schauten schon interessiert auf die Szene, die sich da entwickelte.
„Was die Nazis mit euch gemacht haben, war nicht richtig! Aber die Zeit ist zum Glück vorbei! Jetzt gelten andere, und ich glaube, bessere Gesetze, und dass die eingehalten werden, darum machen wir diese Kontrollen. Ich verstehe ja, dass du darüber ungehalten bist, aber auch für dich gibt es keine Ausnahme! Gesetz ist Gesetz! Sei also vernünftig, und verlasse den Tanzsaal!“
Ich musste mich, wenn auch widerstrebend, der Anweisung beugen, was blieb mir auch weiter übrig.
Aber uneinsichtig wie ich war, ging ich dennoch weiter, auch nach 20,00 Uhr, tanzen. Wie bisher entzog ich mich die verbleibenden drei Monate, bis zu meinem 18. Geburtstag, den lästigen Kontrollen durch einen Sprung durch das Fenster in den Garten des Feldschlösschens.
* „Fromm’s Akt“, damals die Warenbezeichnung für Kondome
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