BERUFSWAHL

Wir kamen gerade aus der Schule, als mein Freund Karl mich anstieß, zum Himmel zeigte und aufgeregt sagte: „Schau mal, Werner, ein Zeppelin“. Ich sah schnell nach oben, um den erhebenden Anblick nicht zu versäumen.

„Ist das nicht herrlich, Karl“, sagte ich zu meinem Freund, „wie majestätisch er dahinschwebt, wie eine große silberne Zigarre“.
Es war ein seltenes Ereignis, dass über Guben ein Zeppelin seine Bahn zog. Auch die Erwachsenen um uns herum waren von dem Anblick des Luftschiffs fasziniert.
Karl und ich verfolgten das Himmelstorpedo mit den Augen, bis es in weiter Ferne unseren Blicken entschwand. Wir malten uns aus, wie es wäre, wenn wir mit dem Zeppelin mitflögen, vielleicht als kühne Luftschiffkapitäne ferne Länder besuchten und gefährliche Abenteuer bestünden.
Auch Flugzeuge regten unsere Phantasie an, egal, ob es anfangs die klobigen ein- oder dreimotorigen Wellblechkisten von Junkers und später die schnittigen Me 109, He 111 oder die Stukas mit ihren abgewinkelten Tragflächen waren. Dazu kam noch, dass in Guben auch ein Flugplatz existierte. So verwundert es nicht, dass für uns Jungen der Beruf des Flugzeugmonteurs zu einem Traumberuf wurde, den jeder am liebsten erlernen wollte.
Auch ich wollte diesen Beruf ergreifen!
Weihnachten 1941 verteilte die Firma F.W.Schmidt, die Tuchfabrik, bei der mein Vater arbeitete, an die Kinder ihrer Betriebsangehörigen Weihnachtsgeschenke. Dazu sollte jedes Kind einen Wunschzettel schreiben. Unter Berücksichtigung meines Berufswunsches hatte ich mir einen Flugzeugbaukasten gewünscht. Doch wie enttäuscht war ich, als ich auf der Weihnachtsfeier mein Paket öffnete. Statt des gewünschten Baukastens befand sich eine blaue Überfallhose, als Teil der Winteruniform der Hitlerjugend, darin.
Wenn schon mein Weihnachtswunsch nicht erfüllt wurde, erst recht nicht mein Berufswunsch.
Bei der Berufsberatung (das gab es damals auch schon), wurde mir von der Beraterin eröffnet: „Weißt du, diesen Modeberuf wollen heute mehr Jungen erlernen, als dafür gebraucht werden. Ich habe mir auch dein Zeugnis angesehen. Es ist nicht das Beste. Damit hast du überhaupt keine Chancen, Flugzeugmechaniker zu werden. Dir kann ich folgende drei Ausbildungsberufe vorschlagen: Drogist, Tuchmacher oder Modelltischler. Beratet das zu Hause. Nächste Woche kommst du und gibst mir Bescheid, wofür du dich entschieden hast.“

Das Deckblatt meines Lehrvertrages
Drogist zu werden, dazu hatte ich überhaupt keine Lust. Immer mit Pillen und Pülverchen zu hantieren, fand ich blöd. Und den Drogisten, den ich kannte, der war blass und schwächlich, und so wollte ich auf keinen Fall werden.
Auch der Beruf des Tuchmachers kam für mich nicht in Frage. Von meinem Vater, der in einer Tuchfabrik arbeitete, wusste ich, den Beruf des Tuchmachers gibt es gar nicht. Die Lehrlinge mussten zwar alle Bereiche der Tuchfabrik durchlaufen, aber nach Abschluss der Lehre übten sie doch nur eine Tätigkeit aus, die auch von Angelernten gemacht werden konnte.
Blieb also der Beruf des Modelltischlers. Die Liebe zum Holz war mir in die Wiege gelegt worden. Ein Großvater war von Beruf Zimmermann und der andere Tischler, und ein Onkel war auch Tischler von Beruf. Deshalb entschied ich mich, Modelltischler zu lernen.
Der Lehrvertrag wurde mit der Firma Wilh. Quade, Maschinenfabrik und Eisengießerei, abge-schlossen.
Damit war auch meine letzte Illusion zerstört worden. Insgeheim hatte ich gehofft, Modell-tischler bauen Modelle von Autos, Schiffen und Flugzeugen. Jetzt wusste ich, ich werde Metall-arbeiter. Modelltischler stellen nämlich Gießerei-modelle her, nach denen in der Formerei Guss-formen angefertigt wer-den, in denen dann in der Gießerei Maschinenteile gegossen werden.

Die Wirklichkeit zerstört alle Träume
vorherige SeiteSeite 69 von 164nächste Seite