DIE „SCHIESSBUDE“
Die 6. bis 8. Klassen der Gubener Schulen hatten großes Leichtathletik -Sportfest. Auf dem Hindenburgplatz kämpften wir gegeneinander im Rahmen der HJ-Sportwettkämpfe um gute Ergebnisse. Am Ende belegten wir von der Klosterschule aber nur mittlere Plätze, weil unser Sportlehrer, Herr Schattkowsky, den Schwerpunkt in seinem Unterricht auf das Geräteturnen gelegt hatte.
Während die anderen noch bei der Siegerehrung waren, sammelten wir bereits unsere Geräte zusammen. Ein Fußball fehlte. Alle suchten eifrig. Auch mein Freund Karl und ich stöberten überall herum. Wir hatten kein Glück. Der Fußball war nirgendwo zu finden und wir mussten ohne ihn abrücken.
Auf dem Heimweg nahm mich Karl beiseite und flüsterte mir zu: „Werner, ich habe den Fußball entdeckt; aber ich habe ihn nicht abgegeben, sondern wieder versteckt. Nachmittag können wir hingehen und ihn uns holen. Dann haben wir auch einen Fußball und können mauken.“
So kamen wir durch eine kleine Gaunerei zu einem echten Lederball.
Anfangs machte es uns beiden großen Spaß, in der Grünstrasse, in der wenig Verkehr war, von einer Seite zur anderen zu ‚kicken‘. Doch bald erlahmte unser Interesse, denn richtige Fußballanhänger waren wir eigentlich nicht; und Zweimannfußball ist auf die Dauer auch langweilig. Bald lag unser Ball deshalb oft ungenutzt in der Ecke.
Kaupeln war unter uns damals gang und gäbe. Deshalb nutzten wir eine sich uns bietende Chance, und tauschten unseren Fußball gegen ein Luftgewehr ein. Da uns unsere Eltern den Besitz eines Luftgewehrs nicht erlaubt hätten, flunkerte Karl seiner Mutter vor, das Gewehr würde mir gehören; und ich erzählte daheim, dass Karl es besitzt.
Es war ein gebrauchtes Gewehr mit Knicklauf. Das Visier hatte ein Kugelkorn, aber die kleine Kugel war schon abgebrochen. Man musste also mit Feinkorn schießen, um richtig zu treffen.
Wir fuhren in dieser Zeit oft nach Atterwasch, um auf dem Hof meines Großvaters auf Scheiben zu schießen. In der Regel benutzten wir dazu Bolzen, weil man die immer wieder verwenden konnte. Hin und wieder schossen wir aber auch mit Kugeln auf die unterschiedlichsten Ziele, die sich auf dem Hof boten. Eines Tages nahm mich mein Großvater recht unsanft am Ohr und erklärte mir unwirsch, dass es ab jetzt Schluss sei mit dem Schiessen auf seinem Hof. Dummerweise hatten wir einmal im Übermut auf einen Kürbis geschossen, der im offenen Schuppen gelegen hatte. Dadurch war er von innen verfault, und mein Großvater hatte zu unserem Pech die Bleikugel entdeckt.
- Opa Krause auf der Bank vor seinem Haus
Auf dem Jahrmarkt waren für uns die Schiessbuden immer ein besonderer Anzieh-ungspunkt gewesen. Dadurch hatten sich bei jedem von uns viele Kunstblumen angesam-melt, die verstaubt ir-gendwo herumlagen. Das brachte uns auf die grandiose Idee, uns selbst eine Schiessbude einzurichten und dann unsere eigenen Blumen abzuschießen. Das Pro-blem war nur; wo be-kommen wir die Ton-röhrchen dafür her?
Plötzlich kam mir der rettende Gedanke.
„Weißt du, was wir machen?“ erläuterte ich Karl meinen Einfall, „wir nehmen als Röhrchen einfach Makkaroni.“
Mein Vorschlag war in seiner Einfachheit zwar genial, aber angesichts der Lebensmittelrationierung nicht einfach zu verwirklichen. Jeder von uns kramte zu Hause im Küchenschrank herum, ob Makkaroni zu finden seien. Mehl, Grieß, Zucker, Bandnudeln, alles war vorhanden, nur Makkaroni nicht.
Mir blieb also nichts weiter übrig, als meine Mutter zu fragen, ob sie mir nicht eine Nährmittelmarke gibt, damit wir uns ein viertel Pfund Makkaroni kaufen könnten. Es erforderte ein beträchtliches Maß an Überredungskunst, um meiner Mutter die Nährmittelmarke abzuluchsen.
Schließlich hatten wir die Makkaroni und wir konnten ans Werk gehen. In eine Holzlatte schlugen wir mehrere Nägel, so dass sie mit der Spitze einige Zentimeter herausschauten. Diese Latte banden wir mit Draht an den Zaun in unserem Hof. Die dahinter liegenden Schuppen dienten als Kugelfang. Dann steckten wir die auf entsprechende Länge gebrochenen Makkaronistücke auf die Nägel, schoben die Papierblumen in die obere Öffnung und fertig war unsere Schiessbude.
Da die Makkaroni–Röhrchen dünner waren, als die Tonröhrchen auf dem Rummel, war es auch schwerer, sie zu treffen. Aber, wenn sie getroffen wurden, zersplitterten sie wirkungsvoller und die Blume fiel augenblicklich. Wir hatten riesigen Spaß. Makkaroni um Makkaroni ging in die Brüche. Je länger wir schossen, um so mehr Kinder aus unserem Haus fanden sich ein. Alle bedrängten uns, sie auch einmal schießen zu lassen. Anfangs erlaubten wir es ihnen hin und wieder. Als sich aber auch noch Kinder aus der Nachbarschaft hinzugesellten, wurde uns das zuviel.
„Umsonst können wir niemanden mehr schießen lassen, das wird uns zu teuer“, gaben wir bekannt, nachdem wir uns kurz beraten hatten, „aber für 5 Pfennig pro Schuss darf jeden, so oft er will.“
Es war unglaublich, aber den gesamten Nachmittag über war unsere Schiessbude von zahlenden Interessenten dicht umlagert. Wir hatten zu tun, immer wieder neue Blumen aufzustecken. Da unser Vorrat aber begrenzt war, blieb uns am Ende nichts weiter übrig, als die abgeschossenen Blumen für 2 Pfennig das Stück wieder zurückzukaufen, um den Betrieb weiter aufrecht erhalten zu können.
Als unsere Makkaroni zuende zu gehen drohten, sausten einige los und sorgten für Nachschub, indem sie sie ihren Müttern einfach klauten und uns dann verkauften. Die anbrechende Dunkelheit zwang uns leider, das Schiessen zu beenden. Wir mussten aber versprechen, am anderen Tag weiter zu machen. Das taten wir gern, denn das Geschäft hatte sich für uns gelohnt. Mehr als 5 Mark barer Gewinn klimperte in unseren Hosentaschen.
Vom Erfolg beflügelt, gingen wir daran, unser Angebot zu erweitern. Neben den Blumen konnte jetzt auch auf Scheiben geschossen werden und die Höhe der Ringzahl bestimmte den Gewinn. Wie auf dem Rummel, zogen auch wir mehrere Makkaroni–Röhrchen auf einen Draht, an dem ein etwas wertvollerer Gegenstand hing. Man musste erst alle Röhrchen abschießen, um in Besitz des Gewinns zu kommen.
Das Geschäft florierte. Auf unserem Hof ging es zu wie auf einem Rummelplatz. Wir hatten wirklich alle Hände voll zu tun. Auch für Nachschub an Papierblumen war gesorgt, weil alle ihre Blumen mitbrachten und uns zum Kauf anboten, die irgendwann mal auf dem Jahrmarkt geschossen worden waren und zu Hause herumlagen. Natürlich gab es hin und wieder auch Verluste. Es kam schon mal vor, dass ein Rabauke, statt auf die Röhrchen, auf die Preise schoss. Da das aber ausrangierte Sachen waren, wie alte Bleistiftanspitzer, runde Taschenspiegel auf deren Rückseite sich Geduldsspiele befanden und ähnlicher Tand, konnte von großem Verlust nicht die Rede sein. Auch zahlte es sich für uns positiv aus, dass das Korn am Gewehr nicht in Ordnung war, was seine Treffgenauigkeit doch ganz schön beeinträchtigte.
Zu unserem Leidwesen mussten wir unsere Schiessbude nach ein paar Tagen aufgeben. Es waren doch zu viele Kinder gewesen, die sich in dieser Zeit auf unserem Hof aufgehalten und natürlich auch nicht leise und gesittet verhalten hatten. Der entschiedene Protest einiger Hausbewohner zwang uns, unsere recht lukrative unternehmerische Tätigkeit zu beenden.
Lange Zeit hing noch die Latte mit den Nägeln am Gartenzaun. Hin und wieder steckten wir auch noch mal einige Makkaroni-Röhrchen drauf und schossen nur so aus Spaß mit den Spielkameraden aus unserem Haus auf Blumen. Manchmal waren sogar einige Erwachsene dabei.
Die Makkaroni-Splitter, die sich unter unserer Blumen–Schiessanlage angesammelt hatten, wurden von den Vögeln aufgepickt. Was dauerhaft blieb, waren die Luftgewehrkugeln, die im Holz der Stalltüren stecken geblieben waren.
Schließlich war es noch eine Erfahrung, die wir als Schiessbudenbesitzer gewonnen hatte: Und ist der Laden noch so klein, er bringt doch mehr als Arbeit ein!
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