MEIN ERSTER ZAUBERTRICK

Während des Krieges gab es ganz einfache Spiele, kombiniert für Mühle, Dame und Schach, die man den Soldaten zur Unterhaltung an die Front schicken konnte. Sie waren nicht sehr groß. Die Spielsteine waren aus Pappe gepresste schwarze und weiße Scheiben, auf denen die Schachfiguren nur aufgedruckt waren.

Ein solches Spiel hatten wir zu Hause. Hin und wieder spielte meine Mutter mit mir Mühle oder Dame. Auch mit meinen Freunden trug ich in diesen Spielarten Wettkämpfe aus.
Die Schachfiguren auf den Spielsteinen weckten mein Interesse für dieses Spiel und ich versuchte, es zu lernen. Leider fand ich keinen Spielpartner, und alleine Schach zu spielen (damals gab es ja noch keine Schachcomputer), machte für mich wenig Sinn. Mein Vater zeigte überhaupt kein Interesse für Schach. Meiner Mutter war es zu schwierig und zu langweilig, und von meinen Freunden hatte auch keiner Lust, sich diesem Denksport zu widmen.
Zufällig erfuhr ich, dass unser Nachbar, der alte Hoffmann, Schach spielen konnte. Als ich ihn fragte, war er sofort bereit, mit mir eine Partie auszutragen. Als ich mit meinem primitiven Schachspiel anrückte, lächelte er mitleidig, ging zum Vertiko und holte sein Holzbrett und die geschnitzten, vom vielen Gebrauch schon recht abgegriffenen, Schachfiguren hervor. Mit Geduld ertrug er meine anfängliche Stümperhaftigkeit und wurde nicht müde, mir die Regeln zu erklären, mich auf Fehler hinzuweisen und mir bestimmte Finessen beizubringen.
Der alte Hoffmann war ein guter Lehrmeister und ich lernte schnell. Er kramte auch ein altes Schachbuch hervor und hielt mich dazu an, mich auch theoretisch mit dem Schachspiel, vor allem mit den verschiedenen Eröffnungen, zu beschäftigen. Er zeigte mir auch, wie man blutige Anfänger mit dem Narrenmatt* in zwei Zügen, und mit dem Schäfermatt** in drei Zügen Matt setzen konnte. Schließlich begannen unsere Begegnungen sich zu regelrechten Duellen zu entwickeln, und meinem großväterlichen Freund fiel es immer schwerer, sich gegen mich zu behaupten. Aber auch, wenn ich ihn hin und wieder Matt setzte, freute er sich, denn schließlich war es ja seinem Mühen zu danken, dass ich immer besser wurde.
Eines Tages überraschte mich Opa Hoffmann, wie ich ihn in kindlicher Zuneigung nannte, damit, dass er nicht nur gut Schachspielen, sondern auch vortrefflich Zaubern konnte. Er nahm vier weiße Bauern und stellte sie im Abstand von cirka 40 cm im Karree auf den Tisch. In jeder Hand einen Hut, bedeckte er damit im Wechsel erst den vorderen rechten und dann den vorderen linken Bauern, dann bedeckte er den hinteren rechten Bauern und ließ den Hut darauf liegen, das Gleiche geschah auch links. Dann nahm er den freistehenden linken Bauern, führte ihn unter den Tisch und schlug ihn mit einem kurzen Ruck durch die Tischplatte unter den links liegenden Hut. Durch aufheben des Hutes zeigte er, dass zwei Bauern darunter waren. Auch der freistehende rechte Bauer wurde so durch die Tischplatte unter den linken Hut gezaubert und durch lüften des Hutes die drei Schachfiguren gezeigt. Nur durch seine magischen Kräfte erreichte er dann, dass der Bauer unter dem rechten Hut sich von allein zu den drei Bauern unter dem linken Hut gesellte. Als er nun beide Hüte hochhob, befanden sich, oh magisches Wunder, wirklich alle vier Figuren unter dem linken Hut und unter dem rechten befand sich keine mehr!
Opa Hoffmann ließ mich lange Knobeln, wie das Kunststück vonstatten geht. Er ließ mich Tisch, Hüte und Schachfiguren untersuchen und mich immer und immer wieder, sogar ganz aus der Nähe, zusehen, aber ich kam nicht hinter das Geheimnis. Nachdem er mich lange genug hatte zappeln lassen, erklärte er mir schließlich doch den Kniff, durch den die verblüffende Illusion hervorgerufen wurde. Als ich den Trick kannte, war ich über die Einfachheit erstaunt, aber ich musste doch noch recht viel üben, um ihn selbst mit Sicherheit vorführen zu können.

Phasen des Tricks
Natürlich kannte ich auch vorher schon einige einfache Zaubertricks, mit denen ich meine Freunde verblüffte und in der Schule damit kleine Be-trügereien zu meinem Vorteil inszenierte. So konnte ich scheinbar das vordere Glied meines rechten Zeigefingers ent-fernen und wieder an-setzen, ohne dass Blut floss. (Siehe Abb.) Oder ich ließ mir von einem Mitschüler einen Bonbon, eine kleine Tomate, oder etwas ähnliches geben. Dann tat ich so, als steckte ich den Gegenstand in den Mund und verschlucke ihn, behielt ihn aber versteckt in der Hand. Dann hielt ich mir diese Hand an den Hintern, hustete kräftig, und brachte das Objekt unver-sehrt wieder zum Vorschein.
„Oh, gut. Mach noch mal!“, war meist die Reaktion des so verblüfften. Dann aß ich in aller Ruhe den Bonbon usw. auf, und entschuldigte mich, wenn danach die Hand am Hintern leer blieb: „Das tut mir aber leid, ich glaube, diesmal ist mir der Zaubertrick nicht geglückt“.
Das alles war natürlich Kleinkram gegen den Trick von Opa Hoffmann. Mit ihm, den ich auch heute immer noch mit der gleichen verblüffenden Wirkung vorführe, wurde ich unter meinen Schulka-meraden und Freunden zu einer kleinen Be-rühmtheit.
Und nicht nur das! Er verhalf mir sogar dazu, bei einem gro-ßen bunten Abend der Freien Deutschen Ju-gend Ende 1946 in Guben auf der Bühne zu stehen und mich als Zauberkünstler zu prä-sentieren.
Die Kopie des Pla-kates zur Ankündi-gung dieser Veran-staltung stammt aus dem Buch: „Guben 1945/1946, Berichte, Dokumente, Diskuss-ionen“, Seite 100. Es kommt aus dem Arch-iv von Herrn Werner Möhring, Guben.



* 1.wBf2->f4, sBe7->e6; 2. wBg2->g4, sDd8->h4, matt!!!

** 1.wBe2->e4, sBe7->e5; 2. wLf1->c4, sLf8->c5; 3. wDd1->h5, sSb8->c6; 4. wDh5->f7, matt!!!
vorherige SeiteSeite 64 von 164nächste Seite