GROSCHENHEFTE

Ich habe viel und gern gelesen. Vorrang hatten Indianer- und Trappergeschichten, wie Coopers ‚Lederstumpf‘. ‚Der Letzte der Mohikaner‘, oder von Karl May ‚Winnetou‘, ‚Der Schatz am Silbersee‘ und ‚Trapper Geierschnabel‘. Aber auch Zukunftsromane (heute sagt man Sience Fiction), zum Beispiel von Hans Dominick, las ich gerne. Das war relativ gute Kost.

Dazwischen habe ich auch mal – sozusagen als kleinen Imbiss zwischendurch – so ein Heftchen von Rolf Torring, Jörn Farrow oder Bill Jenkins gelesen. Ich kann mich noch heute gut an die hellgrünen Hefte von Jörn Farrow erinnern, in denen die Abenteuer des Romanhelden auf den Welt-meeren mit einem U-Boot der Kaiserlichen Kriegsmarine nach dem ersten Weltkrieg erzählt wurden. Die Rolf-Torring-Hefte (siehe nebenstehende Abbildung) waren gelb. Die Abenteuer spielten in der Hauptsache in Afrika. Zu den Akteuren gehörte noch Dr. Warren, der sich oft durch seine Naivität in heikle Situationen brachte, und Pongo, ein Schwarzer, der seine ‚Massas‘ am Ende oft aus aussichtsloser Lage rettete.
Die Hefte von Farrow und Torring kosteten damals, Ende der dreißiger und Anfang der vierziger Jahre zwanzig Pfennig und man konnte sie in jedem Schreibwarenladen kaufen.
Wenn sich bei mir eine Vielzahl dieser Hefte angesammelt hatte, nahm ich sie mit in die Schule. Ich fertigte eine Anzahl Lose an, mit denen man Hefte gewinnen konnte. Ein Los verkaufte ich meinen Mitschülern für fünf Pfennig. Da ich ein Verhältnis von einem Gewinn zu drei Nieten bei meinen Losen einhielt, bekam ich in der Regel für jedes Heft wieder zwanzig Pfennig, so dass ich mir für das eingenommene Geld wieder die gleiche Anzahl neuer Hefte kaufen konnte. Ich machte also keinen Verlust, eher noch etwas Gewinn.
Es konnte aber auch vorkommen, dass ich mir, gemeinsam mit meinem Freund Karl, neue Hefte auf andere Art beschaffte.
Auf der linken Seite der Kurmärkischen Straße, kurz vor dem Dreieck, war ein kleiner, recht dunkler Schreibwarenladen, die Buchverkaufsstelle Max Stephan, dessen Besitzer auch noch schlecht sah. Dieser Laden war wie geschaffen für unser Vorhaben. Um es auszuführen, hatten wir uns folgendermaßen vorbereitet: Einmal hatten wir uns einen falschen Fünfziger aus der Weimarer Zeit eingesteckt, der mit den gültigen darin übereinstimmte, dass er auch aus Aluminium war, die gleiche Größe hatte und auch einen gezackten Rand besaß. Zum anderen hatte mein Freund eine Trainingshose an, die an der Taille einen Gummibund besaß.
Wenn wir das Geschäft betraten, dauerte es immer eine gewisse Zeit, bevor der alte Ladenbesitzer angeschlurft kam. Mit seinen kurzsichtigen Augen blinzelte er in das Dämmerlicht des Ladeninneren und fragte uns nach unserem Begehr.
„Ich wollte ein Rolf-Torring-Heft kaufen“, sagte ich, „können sie mir vielleicht ein paar zeigen, damit ich mir eins aussuchen kann, das ich noch nicht kenne?“ Der Alte griff hinter sich in das Regal und reichte einen Stapel Hefte herüber. „So, da kannst du dir etwas aussuchen.“
Mein Freund stellte sich so an den Ladentisch, dass er mit beiden Daumen den Gummibund seiner Hose an die Tischkante klemmte und sie so vom Bauch wegzog, dass eine Öffnung entstand. Ich nahm nun den Stapel Hefte und sah ihn durch. Mit der Bemerkung: „Kenne ich schon!“, warf ich ein Heft nach dem anderen auf den Ladentisch zurück, aber so, dass dabei einige Hefte unbemerkt in die offene Hose meines Freundes rutschten. „So“, sagte ich zum Ladenbesitzer, nachdem ich alle Hefte durchgesehen hatte, „dieses Heft hier kenne ich noch nicht, das möchte ich haben.“
„Ist recht“, antwortete der alte Mann, „kostet zwanzig Pfennig.“ Er bekam den falschen Fünfziger gereicht. Der tapprige, kurzsichtige Alte nahm das Geldstück, und so, wie wir es oft erlebt und davon auch unsere Idee abgeleitet hatten, prüfte er es in der Dämmrigkeit des Ladens auf Echtheit, indem er lediglich mit dem Daumennagel am geriffelten Rand der Münze entlang fuhr, denn sehen konnte er ohnehin nicht richtig.
Er hatte keinen Zweifel, gab mir das Heft und dreißig Pfennig zurück. Wir hatten uns so mehrere Hefte umsonst angeeignet und obendrein noch dreißig Pfennig bares Geld dazubekommen.
Skrupel hatten wir keine, denn wer wenig hatte, wie wir, musste sehen, wo er bleibt, egal auf wessen Kosten. Möge uns der alte Herr im Nachhinein unsere kleine Betrügerei verzeihen.
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