MASSGEFERTIGT
Wer kennt nicht das geflügelte Wort: Der Schuster hat die schlechtesten Schuhe. Es ist also selten, das ein Handwerker etwas für sich selbst oder für seine Familie herstellt.
Deshalb war die Überraschung groß, als mein Vater ernsthaft daran ging, mir ein Paar handgearbeitete Schuhe anzufertigen.
Ich musste mich in Strümpfen auf ein Stück Pappe stellen, auf die mein Vater die Umrisse meiner Füße zeichnete. Anschließend vermass er den Spann und bestimmte danach die Größe der Leisten, die den Schuhen die Form geben sollten. Dann schnitt er das Oberleder, das Futter, die Brand- und Ledersohlen und die Absätze zurecht und begann mit der Arbeit.
Da mein Vater immer erst nach Feierabend tätig werden konnte, aber auch nicht immer Zeit und Lust hatte, verging eine recht beträchtliche Zeit, bevor die Schuhe fertig waren.
Als Kind wächst man ja recht schnell, und so kam, was kommen musste: Für meine Füße waren die maßgefertigten Schuhe in der Zwischenzeit bereits eine Nummer zu klein geworden.
Da so ein Paar handgefertigte Schuhe ja Zeit, Material, Kraft und Geld gekostet hatten, negierte das mein Vater und ich musste die Schuhe anziehen, obwohl sie mir ungemein drückten.
Mein Vater wollte nicht einsehen, dass mir die Schuhe nicht mehr passten. Er ging mit mir deshalb in das Bata-Schuhgeschäft der Deutschen Schuh AG in Guben. Dort war als neuster Schrei ein Durchleuchtungsapparat aufgestellt worden, in dem man den Sitz der Füße im Schuh auf einem Röntgenschirm selbst überprüfen konnte. Ich musste meine Füße in den Apparat stecken. Mein Vater besah sich die Angelegenheit und erklärte dann im Brustton der Überzeugung: „Was willst du bloß, deine Schuhe sitzen doch wie angegossen!“
So beurteilt, blieb mir nichts weiter übrig, als die Schuhe einige Zeit zu tragen, obwohl es doch eine rechte Tortur war. Dem Ehrgeiz meines Vaters war zu danken, das ich ein Paar handgearbeitete, maßgefertigte Schuhe besaß. Das Ergebnis seiner Unvernunft aber war, dass ich der engen Schuhen wegen einige schmerzhafte Hühneraugen auf meinen Fußsohlen bekam, mit denen ich mich mein ganzes Leben lang herumplagen musste.
Gott sei Dank kam meinem Vater nicht noch einmal der Gedanke, mich mit maßgefertigten Schuhen zu beglücken.
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