KLOSTERSCHULE

Guben wurde ich in die evangelische Klosterschule eingeschult. Am ersten Schultag nach den Herbstferien brachte mich mein Vater in die neue Schule. Sie befand sich in der Kirchstrasse, gleich neben der Klosterkirche. Hinter einer breiten Toreinfahrt stand rechter Hand ein kleines Häuschen, in dem der Hausmeister wohnte und in dem auch die älteren Mädchen Unterricht in hauswirtschaftlicher Tätigkeit hatten. Von dort waren es etwa 50 Meter bis zum imposanten, Ehrfurcht erheischenden Hauptgebäude. Hinter dem Hauptgebäude war ein neuerer Anbau, in dem sich die modern eingerichtete Turnhalle befand. Ihr gegenüber war ein langgestreckter schuppenartiger Bau, in dem, man konnte es schon von weitem riechen, die Toiletten untergebracht waren. Schließlich war da noch der große Schulhof, auf dem wir, diszipliniert im Kreise gehend, die Pausen verbrachten.

Wir stiegen die breite Treppe zum Eingangsportal empor, mussten aber feststellen, dass es verschlossen war. Unschlüssig schauten wir uns um. Ein vorbeikommender Schüler wies uns darauf hin, dass dieser Eingang nur zu besonderen Anlässen geöffnet wäre und sonst der Seiteneingang links im Parterre zu benutzen sei. Im Treppenhaus war es angenehm kühl. Auf einer massiven Steintreppe, deren Stufen von den vielen Kinderfüßen schon mächtig ausgetreten waren, und auf denen jeder Schritt widerhallte, begaben wir uns ins Schulsekretariat. Dort nahm mich der Direktor, Herr Wilhelm, in Empfang. Es war ein schlanker, kleiner Mann mit blanker Glatze und einer Brille mit halben Gläsern, über die er mich mit flinken Äuglein abschätzend taxierte. Wie ich später erfuhr, war sein Spitzname Schleicher, weil er oft während der Unterrichtszeit durch die Schulflure schlich und an den Klassentüren lauschte.
Nachdem er meine Personalien aufgenommen und durch ein paar gezielte Fragen meinen Wissensstand überprüft hatte, brachte er mich in meine künftige Klasse, die 3c, und übergab mich der Klassenlehrerin.
Fräulein Striese, eine etwas gouvernantenhaft wirkende, korpulente ältere Dame, nahm mich am Arm und führte mich zum Lehrerpult in der Mitte der Klasse.
„Das ist Werner Krause, euer neuer Klassenkamerad. Er wohnt in der Grünstrasse 1. Er kommt aus Wallwitz und wird ab heute unsere Schule besuchen“, stellte mich die Lehrerin vor, „und ich hoffe“, appellierte sie an den guten Willen aller, wobei sie streng in die Runde schaute, „ihr werdet ihm helfen, sich schnell bei uns einzuleben. Und du“, wandte sie sich an mich, „kannst dich hier in der ersten Reihe auf den freien Platz neben Gerhard Kohlschmidt setzen.“

Klassenlehrerin Fräulein Striese
Im Gegensatz zur Schule in Wallwitz waren in der Klosterschule Mädchen und Jungen in getrennten Klassen unter-gebracht. Für mich war es deshalb schon etwas befremdlich, auf einmal nur mit 34 gleichaltrigen Jungen in einer Klasse zu-sammen zu sein, die mich, den Neuen, natürlich erst mal neugierig beglotzten.
35 Schüler in einer Klasse waren auch zur damaligen Zeit schon recht viel und die Lehrer hatten wirklich zu tun, alle im Griff zu behalten; aber im Vergleich zur zweiklassigen Dorfschule, in der ich vorher war, wo fast 50 Schüler aus vier Klassenstufen zugleich in einem Raum unterrichtet wurden, war das Lernen hier, weil es einheitlich nur in einer Klas-senstufe erfolgte, doch wesentlich effek-tiver.
In den ersten Tagen war ich noch etwas schüchtern und zurückhaltend. Von dem Einen oder Anderen wurde ich auch anfangs hin und wieder freundschaftlich als ‚Kuh-Bauer‘ oder ‚Holzpantoffel-Gymnasiast‘ gehänselt. Es dauerte aber nicht lange, und ich hatte meine Hemmungen überwunden und mich im neuen Klassenkollektiv eingelebt.
Mein Freund Karl
Am Ende des ersten Schultages in der neuen Schule sprach mich ein Klas-senkamerad recht freundschaftlich an: „Wenn du willst, können wir zusammen nach Hause gehen. Ich wohne in der Mittelstrasse. Das ist ganz in der Nähe, wo du wohnst!?“
Es war Karl Hundt, ein dunkelhaariger Junge mit leicht abstehenden Ohren, der seine Haartolle etwas ins Gesicht gekämmt trug, weil seine Stirn durch eine senkrechte Furche verunziert wurde, in der Haare wuchsen, die er sich ständig auszupfen musste. Er wohnte mit seiner Mutter und einer älteren Schwester bei seinem Großvater, dem Schmiedemeister Bruno Riedel, in der Mittelstrasse 17. Karl wurde mein bester Freund!
Andere Jungen, mit denen ich auch noch Freundschaft schloss, waren Helmut Schultke, Horst Petke, Winfried Matyscheck und Helmut Haschzschick. Von denen wird in anderen Zusammenhängen noch zu berichten sein.
Die Klosterschule existiert heute nicht mehr. Sie ist während des zweiten Weltkrieges zerstört worden. Ich hatte mich sehr bemüht, ein Bild von der Klosterschule zu beschaffen. Leider vergeblich. Schließlich entdeckte ich in einem Buch mit alten Gubener Ansichten ein Foto, auf dem zwischen der Klosterkirche und dem Amtsgericht ein kleiner Teil der Klosterschule hervorschaut (Siehe unten). Wenigstens etwas, was die Erinnerung wach hält!
Blick von der Neiße zur Klosterschule
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