DER TEERFLECK

Im Sommer, wenn die Sonne schien, wurde der Teer auf dem Dach des Schuppens weich und tropfte, da keine Dachrinne vorhanden war, vom Schuppenrand auf den Schulhof.

In der Pause sammelten wir die Teertropfen auf und kneteten aus der weichen Masse kleine Figuren. Das waren nicht etwa kunstvolle Werke, sondern einfache geometrische Körper, wie Kugeln, Pyramiden und Würfel. Es war ein Zeitvertreib, der uns Spaß machte.
Oft reichte die Zeit der Pause nicht aus, um die Figur fertig zu gestalten. Deshalb wurden die angefangenen Teerfiguren im Schatten auf den Mauersims des Schuppens gelegt, um in der nächsten Pause daran weiter zu kneten.
Unter meinen Fingern war ein wunderschöner Teerwürfel entstanden. Da er fertig war, wollte ich ihn nicht auf dem Mauersims zurücklassen. Deshalb nahm ich ihn am Ende der Pause mit in den Klassenraum. Doch wohin mit dem glatten schwarzen Würfel. Im Unterricht konnte ich ihn schlecht in der Hand behalten, denn dann wäre er wieder weich geworden und dadurch aus der Form geraten. Also legte ich ihn neben mir auf die Schulbank.
In unserem Klassenraum war es angenehm kühl und dadurch blieb mein Teerwürfel – der Eigenart von Teer entsprechend – hart. Deshalb hatte ich keine Bedenken, ihn am Ende des Unterrichts in die Hosentasche zu stecken und mit nach Hause zu nehmen.
Als ich ihn zu Hause herausnehmen wollte, um mit ihm zu spielen, kam ich mit der Hand nicht mehr in die Hosentasche, sie war verklebt. In der Wärme der Hosentasche und unter Einwirkung der sommerlichen Hitze hatte sich der feste Würfel wieder in einen weichen klebrigen Teerklumpen verwandelt, der breit gelaufen war und bereits begann, durch den Hosenstoff nach außen zu dringen und einen schwarz-fettigen großen Fleck zu bilden.
Ich war sehr erschrocken und versuchte, den schwarzen Kleister aus der Hosentasche zu entfernen.
Leider vergeblich!
Unübersehbar prangte der Teerfleck außen auf der Hose. Aber auch innen drang die schwarze Masse durch den Stoff und verschmierte sich auf der Haut meines Oberschenkels.
Meine Mama war nicht sehr erbaut, als sie das Malheur entdeckte. Deshalb ging sie auch nicht sehr zartfühlend mit mir um, als sie mir den Teer von der Haut rubbelte. Mir trat vor Schmerz das Wasser in die Augen.
Aber noch viel mehr schmerzte mich das kummervolle Gesicht meiner Mutter, als sie den Teerfleck auf meiner Hose entfernte. Dazu musste sie, einem alten Haushaltstipp folgend, die Stelle mit guter Butter einreiben. Und Butter war zur damaligen Zeit etwas, das wir uns nun wirklich nicht oft leisten konnten.
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