WIR GRÜNDEN EINE KAPELLE
Die Vorbereitungen des IG-Metallvergnügens, für dessen Organisierung mir Kollege Schneider die Verantwortung übertragen hatte, gingen recht gut voran. Manfred, Günter und ich saßen wieder einmal zusammen, um weitere Details zu beraten. Plötzlich platzte Günter mit einer neuen Idee in die Runde: „Sagt mal, es wäre doch eine feine Sache, wenn wir mit einer eigenen Kapelle auftreten würden! Was sagt ihr denn dazu?“
„Der Gedanke ist gar nicht schlecht“, stimmte ich dem Vorschlag zu, „aber wo werden wir denn die Musiker her bekommen!?“, meldete ich gleichzeitig meine Zweifel an.
„Ein paar Vorschläge hätte ich schon, wer in der Kapelle mitspielen könnte“, konkretisierte Günter seine Anregung, „ich denke da zum Beispiel an Fritz Purz, den Sohn vom Bierverlag Purz in der Straupitz-Straße. Der spielt auch Akkordeon und bläst ausgezeichnet Trompete. Das hat er im Fanfarenzug der HJ gelernt. Wenn ihr einverstanden seid, würde ich mal mit ihm sprechen“.
Fritz war einverstanden. Er brachte gleich noch einen weiteren Anwärter für unsere Kapelle mit, Horst Werner, der ebenfalls Akkordeon spielte.
Was jetzt noch zu einer gediegenen Jugend-Tanzkapelle gehörte, war ein Schlagzeug. Horst war es, der hier den entscheidenden Vorschlag machte.
„In der Kleinen Kirchstraße wohnt Joachim Jädeck“, erklärte er uns. „ Ich bin mit ihm zusammen in die Schule gegangen und weiß, das sein Vater früher Schlagzeug gespielt hat. Wir könnten ja mal mit ihm reden, vielleicht hat er einen Vorschlag“.
Gemeinsam zogen wir in die Kleine Kirchstraße und hatten Glück. Joachim war zu Hause. Als wir ihm von unserer Idee erzählten, war er sofort Feuer und Flamme. Er sauste gleich in den Keller und kam mit allem, was zu einem kompletten Schlagzeug gehörte, wieder nach oben. Es war das Instrument seines Vaters, der im Krieg gefallen war. Es hatte die ganze Zeit im Keller gestanden und war ganz schön verstaubt. Aber sonst war es in Ordnung. Die Kostproben seines Könnens, die Joachim zum Besten gab, waren vielversprechend, auch er hatte seine Kenntnisse als Trommler im Fanfarenzug der HJ gelernt. Freudig stimmte er zu, in unserer Kapelle mit zu machen.
Gern hätten wir noch einen Bassisten in unserer Kapelle gehabt. Leider konnten wir keinen auftreiben. Wir machen deshalb aus der Not eine Tugend. Horst Werner hatte einen Freund, der Cello spielte. Wolfgang Hampel war von Beruf Ofensetzer. Er war ein wenig schüchtern. Es behagte ihm, der als Cellist überwiegend klassische Musik spielte, gar nicht, in einer Tanzkapelle als zu kurz geratener Bassist tätig zu werden und wir mussten unsere ganze Überredungskunst aufwenden, um ihn zum Mitmachen zu überreden. Es zeigte sich aber am Ende, dass gerade diese Besetzung den besonderen Pfiff in der Kapelle ausmachte. Es sah auch immer recht originell aus, wenn Wolfgang sein Cello auf einen Stuhl stellte und es wie einen Bass zupfte.
Als mein Gitarrenlehrer, Dieter Vogt, erfuhr, dass wir eine Jugendkapelle gegründet hatten, war er sehr daran interessiert, näheres zu erfahren. Als ich ihm berichtete, das die Kapelle im Kulturraum unseres Betriebes probt, fragte er mich, ob er nicht einmal mit seinem Bruder vorbei kommen könnte, um zu sehen was wir da aufgeboten haben.
Der Bruder hatte seine Jazztrompete mitgebracht. Probeweise spielte er mit Fritz ein Trompeten-Duett, welches ganz exzellent klang. Den beiden Brüdern sagte aber unser Vorhaben nicht so recht zu. Sie hatten andere Vorstellungen, die sie später auch verwirklichten. Deshalb nahmen sie Abstand davon, mit uns gemeinsam Tanzmusik zu machen.
Günter und ich waren ganz froh darüber, denn es war zu spüren, irgendwie passten die beiden nicht in unsere Truppe.
- Unsere Jugendkapelle bei ihrem ersten Auftritt im Feldschlösschen auf dem IG-Metall-Vergnügen am 4. November 1948
(Von l. n. r) Horst Werner, Akkordeon; Fritz Purz, Akkordeon und Trompete; Joachim Jädeck, Schlagzeug; Günter Liebig, Akkordeon und Klavier; Wolfgang Hampel, Cello.
Unsere Kapelle hatte aber keine Lizenz zum Spielen. Wenn wir auftraten, dann war das mehr oder weniger illegal. Um bekannt zu werden, waren wir sehr trickreich. Wenn die Kapelle im Feldschlösschen Pause machte, fragten wir, ob wir während dieser Zeit spielen durften. Anfangs erhielten wir ohne weiteres die Erlaubnis. Da unsere Jungens, sie waren ja an keine Vorgaben gebunden, recht flotte Tanzmusik machten, war in dieser Zeit die Tanzfläche gerammelt voll, der Beifall frenetisch und die Forderung nach Mehr geradezu überwältigend. Einen solchen unlauteren Wettbewerb konnte sich die angestammte Kapelle nicht leisten, denn mit ihrer Musik verdienten sie ja ihren Lebensunterhalt. Darum verweigerten sie es unserer Jugendkapelle bald, während der Pausen flotte Musik zu machen.
Wir suchten deshalb unsere Einsatzmöglichkeiten auf den Dörfern. Ich organisierte zum Beispiel Auftritte in den Dorfgaststätten Atterwasch und Schenkendöbern. Dabei trat auch Manfred als Feuerschlucker und ich als Zauberer auf.
Eine Glanznummer war auch der Auftritt unserer Jugendkapelle bei der Frauentagsfeier im VEB Gubener Wolle, den wir der Fürsprache von Ruth zu verdanken hatten.
Im März 1951 sah ich meine Freunde aus der Jugendkapelle noch einmal an der FDGB Schule Bärenklau, und das kam so!
Die Schulleitung hatte verkündet, dass am Ende unseres Lehrgangs, es war ja der Letzte an der FDGB Schule in Bärenklau, eine schöne Abschlussfete gefeiert werden sollte. Doch wie es aussah, scheiterte das versprochene Vorhaben am Fehlen einer Tanzkapelle.
Was tun?
Guter Rat war teuer!
Eine Umfrage unter den Lehrgangsteilnehmern ergab: Außer Kollegen Hanschke, der Mandoline spielte, und mir mit meiner Ziehharmonika (siehe nebenstehendes Foto), gab es niemanden, der ein Instrument beherrschte, und wir beide hätten nicht gereicht, um für 150 Mann zum Tanz aufzuspielen
Ein paar Enthusiasten trugen sich mit dem Gedanken, den Plattenspieler der Schule zu nutzen. Aber er war viel zu leise, denn Verstärkeranlagen, wie sie heute in Diskotheken verwendet werden, gab es damals nicht.
Da erinnerte ich mich an unsere IG Metall Jugendkapelle in Guben, und fragte unseren Seminarlehrer, Kollegen Schulz, ob die Schulleitung eventuell bereit wäre, sie zu engagieren.
Er signalisierte mir Zustimmung. Als Gage bot die Schulleitung für den Abend 350,00 Mark für die Kapelle und zusätzlich freies Essen und Trinken für jeden. Ich machte mich auf den Weg, um mit meinen Freunden zu verhandeln. Da sie woanders kaum so ein gutes Angebot bekommen hätten, sagten sie freudig zu. Ihre Bitte, ihre Instrumente von einem Fahrzeug der Schule transportieren zu lassen, wurde zusätzlich erfüllt.
Unsere Jugendkapelle trug mit ihrer flotten Musik und ihrem stimmungsvollen Auftreten ganz bedeutend dazu bei, dass unsere Abschlussfeier zu einem gelungenen Fest wurde.
- Kollege Schawohl
Und Kollege Schawohl wusste, wovon er sprach, denn vor seiner Tätigkeit an der FDGB-Schule arbeitete er in einer Künstleragentur.
Für mich war es das letzte Mal, dass ich meine Freunde in der Kapelle sah. Ich wurde ja Lehrerassistent an der FDGB-Schule in Bestensee und damit war es so gut wie unmöglich, dass wir uns wiedersahen. Wir waren alle ein wenig traurig, als wir uns voneinander verabschiedeten.
Die Tage der Kapelle waren aber gezählt.
Günter schied aus, weil er zur Zollverwaltung nach Berlin ging. Fritz hörte auf, weil er den Bierverlag seines Vaters übernahm, und nicht mehr die Zeit hatte, in der Kapelle mitzuspielen. Die restlichen Drei, Akkordeon, Cello und Schlagzeug, waren allein nicht lebensfähig und gingen deshalb auch auseinander. Nur Joachim spielte nach der Auflösung weiter in einer Kapelle als Schlagzeuger. Ich habe ihn lange Zeit später noch einige Male, zum Beispiel bei einem Fest in der Gartenanlage „Am Wasserwerk“, gesehen. Wie mir Freunde erzählten, ist er leider am übermäßigen Alkoholgenus kaputt gegangen.
vorherige Seite | Seite 147 von 164 | nächste Seite |