VERHÖR BEI DER GPU*
Wir saßen am Abendbrottisch. Meine Mutter hatte Kartoffelpuffer gebacken. Lecker stapelten sie sich auf dem Teller, knusperbraun und appetitlich duftend. Ich hatte mir einen mit Zucker bestreut, zusammengerollt und wollte gerade herzhaft hineinbeißen, als es klingelte. Ein Hilfspolizist, erkennbar an der roten Armbinde, kam, um mich abzuholen und zur GPU in die Mittelstraße zu einem kurzen Verhör zu bringen.
„Kann ich nicht vorher schnell noch Abendbrot essen“, fragte ich ihn hoffnungsvoll.
„Das geht leider nicht, denn wir müssen uns beeilen“, erklärte er mir. „Es wird aber nicht lange dauern“, fügte er beruhigend hinzu. Dabei schaute er lüstern auf die lecker duftenden Plinsen. Man sah es ihm an, er hätte mir sicher gern erlaubt, erst noch mein Abendbrot einzunehmen und eventuell selbst ein paar Puffer abzubekommen; aber er traute sich nicht. Mir blieb also nichts übrig, ich musste ohne Abendbrot mit dem Polizisten mitgehen, der mich an der hölzernen Sichtblende, welche die GPU in der Mittelstraße geheimnisvoll abgrenzte, einem sowjetischen Wachsoldaten übergab. Der Soldat führte mich in den Keller und gebot mir, mich in einen dort vorhandenen Verschlag zu begeben. Dann radebrechte er ein ,Tschas Moment‘, verschloss von außen den Verschlag und ließ mich allein.
Da saß ich nun im Dunkeln, und hatte Zeit darüber nachzudenken was mich hier erwarten würde. Während des Grübelns kam ich immer mehr zu der Überzeugung, es könnte sich eigentlich nur um meinen Leichtsinn auf der Fähre bei Fürstenberg vor einigen Wochen handeln, den ich mir im Scheinwerferlicht des sowjetischen Kanonenbootes geleistet hatte. Nun wurde mir doch ein wenig mulmig, kursierte doch das Gerücht: Wer sich etwas hat zu schulden kommen lassen, der kommt zur GPU und wird nach Sibirien geschickt.
Die Zeit verging! Es war sicherlich schon Mitternacht vorüber, als mich ein Soldat zum Verhör holte. Er brachte mich in die obere Etage in ein abgedunkeltes Zimmer. Hinter einem Schreibtisch, der von einer Schreibtischlampe nur schwach beleuchtet war, saßen ein sowjetischer Offizier und ein Soldat als Dolmetscher. Der Dolmetscher forderte mich auf, auf dem Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand, Platz zu nehmen. Nachdem meine Personalien festgestellt waren, fragte mich der Dolmetscher im Auftrag des Offiziers, ob ich ihnen etwas zu berichten hätte.
Ich erzählte die Episode mit der Fähre. Der Offizier hörte beinahe gelangweilt der Übersetzung meines Berichts zu. Dann ließ er mich wissen: „Towarisch Krause, das, was sie uns hier berichten, ist ja sehr interessant, aber haben sie uns nicht doch noch etwas anderes zu sagen?“
Ich zuckte mit den Schultern, wusste ich doch nichts weiter zu berichten.
Da wurde der vernehmende Offizier deutlicher: „Towarisch Krause, wir wollen von ihnen wissen: Waren sie HJ-Führer? Waren sie Angehöriger der faschistischen Wehrmacht? Wo haben sie an Kämpfen teilgenommen? Haben sie gegen die Sowjet-Armee gekämpft? Waren sie an Exekutionen von Zivilisten in der Sowjetunion beteiligt? Waren sie Mitglied der Waffen-SS? Gehören sie der faschistischen Werwolf- Organisation an? Kennen sie jemanden, der als Werwolf im Untergrund gegen die sowjetische Besatzungsmacht arbeitet?“
Während ich auf die Fragen, so gut ich konnte, antwortete, machte sich der Offizier eifrig Notizen. Dabei konnte ich feststellen, er verstand gut Deutsch, denn oft stellte er Zwischenfragen, bevor der Dolmetscher meine Aussagen übersetzt hatte.
Nach etwa einer Stunde wurde das Verhör unterbrochen und ich kam wieder in den Keller. Noch zwei Mal wurde ich in der Nacht zum Verhör geholt, und immer wieder mit den gleichen Fragen konfrontiert um mich eventuell in Widersprüche zu verwickeln. Am Ende des Verhörs, es war bereits Morgen, denn durch die dichten Fenstervorhänge schimmerte schon das Tageslicht, wurde mir verkündet: „Towarisch Krause, wir glauben ihnen! Wir möchten sie aber bitten, uns zu informieren, sollten sie Kenntnis über Personen bekommen, die in Wort oder Tat gegen uns wirken.“
Ich kam noch einmal in den Keller, doch diesmal blieb die Verschlagtür unverschlossen. Ein Soldat kam mit einem Kochgeschirr und forderte mich auf: „Paschlie, du essen Kascha!“ Nachdem ich das Gefäß geleert hatte, wurde ich entlassen. Ich war müde und fühlte mich zerschlagen, war aber doch irgendwie zufrieden, alles gut überstanden zu haben. Zu Hause empfing mich meine Mutter. Sie war glücklich, dass ich wohlbehalten wieder da war. Man sah ihr an, sie hatte sich große Sorgen gemacht und auch die ganze Nacht nicht geschlafen. Immer in der Hoffnung, dass ich bald käme, hatte sie mehrmals meine Kartoffelpuffer aufgewärmt. Dadurch waren sie schwarz verbrutzelt, hart und beinahe ungenießbar geworden. Aber ich hatte sowieso keinen Hunger mehr, denn ich hatte ja kurz zuvor erst den Maisbrei, ,Kascha‘ genannt, heruntergeschlungen. Ich wollte nur eines; mich in mein Bett legen, den versäumten Schlaf nachholen und die Erlebnisse der letzen Nacht schnell vergessen. Zur Arbeit bin ich an diesem Tage verständlicherweise nicht mehr gegangen. Er wurde mir vom Betrieb auch nicht als Fehlschicht angerechnet.
* 1922 gebildetes Organ der Sowjetmacht zur Bekämpfung der inneren Konterrevolution und ausländischer Agenten. Aufgaben 1934 von der NKWD übernommen.
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