DEMONSTRATION GEGEN POLIZEIWILLKÜR

Es war an einem Freitagnachmittag. Gelangweilt schaute ich aus dem Fenster. Ich war noch in Arbeitssachen, zum umziehen hatte ich noch keine Lust gehabt. Als mein Freund Manfred kam, fragte er mich verwundert: „Du bist noch nicht umgezogen? Hast du denn vergessen; wir wollen doch zum Reipo-Sportplatz* und ein wenig Remmidemmi machen?!“

„Ach je, daran habe ich ja gar nicht mehr gedacht“, entschuldigte ich mich, „komm doch herein, ich ziehe mich schnell um, es dauert nicht lange.“

Ich mit meiner Harmonika
Mit meiner Ziehharmonika, einer zweireihigen ,Hohner‘, machten wir uns auf den Weg. Als wir auf dem Reipo-Platz ankamen, war unser Freund Günter, ein guter Akkordeon- und Klavier-spieler, und einige andere Jungen und Mädchen schon da. Unsere Clique, etwa 20 Jugendliche, traf sich oft an der Freilichttanzfläche, die dort in Form eines ,Parisers‘ aufgebaut worden war. Jeden Donnerstagabend wurden dort auch offizielle Tanzveranstaltungen mit richtiger Kapelle vom Betreiber der ,Sportlerklause‘ durchgeführt. Zum Schutz der Musiker vor schlechtem Wetter war ein, zur Tanzfläche offener, bühnenartiger Holzver-schlag errichtet worden, auf dem auch ständig ein Klavier stand.
Wir saßen dort herum, rauchten, klönten, erzählten Witze und tanz-ten dann und wann zur Musik von Ziehharmonika und Klavier. Es war nicht selten Mitternacht vorüber, bevor wir Schluss machten.
Auch an diesem Freitag war die Dunkelheit schon hereingebrochen.
Ich spielte leise auf meiner Harmonika, von meinem Freund Günter am Klavier begleitet. Pärchen schmiegten sich zärtlich aneinander. Da und dort leuchtete, einem Glühwürmchen gleich, die Glut einer Zigarette auf. Auf dem ,Pariser‘ wiegten sich einige Tanzpaare.
Plötzlich wurde unser friedliches Beisammensein unverhofft gestört. Zwei Polizisten, damals noch ohne Uniform, nur an einer roten Armbinde als Staatshüter erkennbar, erschienen auf der Bildfläche. Der Leiter der Streife erklärte uns mit dienstlicher Stimme: „Das ist eine nicht angemeldete und deshalb illegale Tanzveranstaltung und somit strafbar. Ich erkläre sie hiermit als beendet. Das Instrument“, er zeigte auf meine Ziehharmonika, „wird beschlagnahmt und sie“, er deutete auf mich, „sind zur Klärung der Sachlage vorläufig festgenommen“.
Kaltenborner Straße 59 –61, Damaliger Sitz der Stadtverwaltung
Von den beiden Polizisten flankiert, die beschlagnahmte Ziehharmonika selbst tragend, musste ich mit zur Polizeiwache, die sich damals noch in der Kaltenborner Straße befand. Dort nahmen die beiden Polizisten meine Personalien auf und versuchten, ein Protokoll über die angebliche Straftat aufzusetzen. Die beiden Polizisten wollten unbedingt, dass ich gestehe, eine illegale Tanzveranstaltung zu meinem Nutzen durchgeführt zu haben.
In der Zwischenzeit hatte sich vor der Polizeiwache unsere Clique eingefunden, gestaltete für mich eine Sympathie-Kundgebung und forderte lautstark meine sofortige Freilassung. Im Stillen gestand ich mir ein, dass es ein unheimlich gutes Gefühl ist, von Freunden in einer schwierigen Situation Unterstützung zu erfahren.
Die beiden Polizisten wurden merklich unruhig. Sie unterbrachen das Verhör und berieten leise miteinander. Obwohl sie flüsterten, konnte ich hören, wie der eine zum anderen sagte: „Du gehst hinten hinaus und ich komme von vorn, dann können wir sie in die Zange nehmen“.
Die so strategisch exzellent vorbereitete ,Polizeiaktion‘ endete damit, dass meine Freunde Manfred und Günter mit ins Amt genommen wurden und mit ihrer Aussage erneut die völlige Harmlosigkeit unseres Cliquentreffens bekundeten. Die beiden Polizisten mussten also, wohl oder übel, das Verfahren gegen mich niederschlagen. Auch das ,Korpus delikti‘, die beschlagnahmte Harmonika, mussten die beiden Gesetzeshüter wieder herausrücken. Vor dem Amt wurden wir drei von unseren Freunden mit Jubel empfangen und verließen den Kampfplatz als gefeierte Sieger.

* Gemeint ist der Reichsbahn-Post-Sportplatz in Guben, der 1946 wiedereröffnet wurde
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