DIE BAUCHLADENVERKÄUFERIN

Es war schon etwas ungewöhnlich, als kurz nach dem Krieg für eine gewisse Zeit in den Städten der sowjetisch besetzten Zone junge Leute, überwiegend Frauen, mit Bauchläden auftauchten, die auf Straßen und Plätzen Süßigkeiten und Zigaretten, hauptsächlich Westware, zu Schwarzmarktpreisen zum Kauf anboten.
Mein Freund Manfred und ich waren an einem Sonntag in der Stadt unterwegs, als wir am Dreieck von einer hübschen jungen blonden Frau mit so einem Bauchladen angesprochen wurden: „Na, meine Herren, wie währe es denn mit einer guten Westzigarette? Ich habe hier zum Beispiel Kamel, Pall-Mall und Marlboro. Wenn ihnen eine Schachtel zu teuer ist, ich verkaufe die Zigaretten auch stückweise.“
Wir blieben bei ihr stehen und besahen uns ihr Warenangebot.
„Ist ja toll, was sie hier alles haben“, tat Manfred erstaunt, „haben sie denn schon viel verkauft?“
„Ich bin zufrieden“, gab sie bereitwillig Auskunft.
„Haben sie auch Luky-Strike?“, fragte Manfred scheinheilig.
„Damit kann ich auch dienen“, war ihre Antwort, während sie die entsprechende Sorte, in der Hoffnung auf Umsatz, hervorkramte.
Aber Manfred reagierte ganz anders als sie vermutet hatte.
„Na, dann sehen sie mal zu, das sie die auch verkaufen, damit sie noch zufriedener sind“, war seine spitzbübische Reaktion, „denn wir rauchen nur selbst gedrehte Zigaretten aus eigenem Tabakanbau.“
Sie lächelte verlegen, schien aber nicht verärgert. Lediglich etwas verunsichert rückte sie ihren Bauchladen zurecht, wünschte uns noch einen schönen Tag und wandte sich dann abrupt anderen Passanten zu.
Manfred und ich feixten noch ein wenig über den gelungenen Spaß und gingen dann weiter. Ich schaute ihr noch mal nach, aber sie würdigte uns keines Blickes mehr. Ein wenig leid tat sie mir doch, denn sie gefiel mir in ihrer netten Art.
Das Dreieck schien ihr Platz zu sein, denn immer, wenn ich dort entlang ging, begegnete ich ihr. Anfangs tat sie so, als währe ich Luft für sie. Doch nach und nach verging ihr Frust, und eines Tages lächelte sie zurück, als ich sie, wie immer, wenn ich sie traf, freundlich anlächelte.
Da fasste ich Mut und sprach sie an: „Sie sind meinem Freund und mir doch hoffentlich nicht mehr böse wegen unseres ungebührlichen Benehmens vor einigen Tagen?“
„Na, etwas sauer war ich schon darüber, so blöd veralbert zu werden“, gestand sie freimütig, „aber ich bin ja nicht nachtragend!“
„Sie sind ja nun schon eine gewisse Zeit in Guben, aber ich habe sie noch nie im Feldschlösschen oder in der Sprucke beim Tanz gesehen? Haben sie keine Lust zum Tanzen oder scheuen sie sich, alleine in ein Lokal zu gehen?“, klopfte ich auf den Busch. „Wenn sie wollen“, bot ich ihr an, „lade ich sie gerne ein“.
„Zum Tanzen habe ich leider keine Zeit. Ich muss arbeiten, um Geld zu verdienen“, bedauerte sie. „Aber wenn du Lust hast, kannst du mich ja mal am Abend in meiner Unterkunft besuchen kommen!“, lud sie mich, schon das vertrauliche du benutzend, zu sich ein.
Sie tat das, was viele Frauen in der damaligen Zeit taten, wo absoluter Männermangel herrschte; sie nutzte die sich ihr bietende Gelegenheit.
Ihr Angebot kam mir entgegen und ich nahm es natürlich sofort an.
Zum abgesprochenen Termin machte ich mich auf den Weg zu ihr. Sie hatte in der Kaltenborner Straße eine kleine möblierte Wohnung. Gut gelaunt, aber leider etwas zu früh, fand ich mich bei ihr ein. Sie war zu meiner Überraschung nicht allein. Andere Bauchladenverkäufer waren bei ihr, rechneten die tagsüber verkauften Waren ab und übernahmen für den kommenden Tag neue Ware, die in einer Ecke des Zimmers gestapelt lag. Wie ich feststellte, war sie also nicht nur eine kleine Bauchladenverkäuferin, sondern die Gruppenleiterin eines ganzen Bauchladenteams.
Als ich ankam, unterbrach sie nur kurz ihre Tätigkeit, um mich zu begrüßen: „Hallo! Du bist etwas zu früh! Das macht aber nichts. Setz dich doch. Es dauert nicht mehr lange. Ich bin gleich fertig.“
Dann wandte sie sich wieder ihren Teamkollegen zu und beschäftigte sich weiter mit der Tagesabrechnung.
Ich setzte mich in der Stubenecke still auf einen leeren Stuhl und wartete. Irgendwie war mir die Situation etwas peinlich. Alle starrten mich neugierig an. Einige lächelten verständnisvoll.
Schließlich waren alle abgefertigt.
„So, das währe erledigt“, atmete sie auf, als der Letzte gegangen war. Dann strahlte sie mich an: „Ich freue mich, dass du gekommen bist! Ich habe nicht geglaubt, dass du es ernst meinst. Entschuldige, die Abrechnung hat heute doch etwas länger gedauert. Aber jetzt haben wir Zeit für uns. Hoffentlich stört es dich nicht, dass dich die anderen hier gesehen haben?“
„Etwas unangenehm war es schon, von allen so begafft zu werden“, sagte ich ihr, „aber so schlimm war es nun auch wieder nicht“, lenkte ich gleich wieder ein.
Als wir uns in die Schlafstube begaben, flüsterte sie mir zu: „Wir müssen leise sein. Ich habe eine kleine Tochter und die schläft schon. Ich möchte nicht, dass sie aufwacht und uns hier zusammen sieht.“
Diese Mitteilung überraschte mich doch etwas, aber ich ließ mir nichts anmerken. Was sollte ich in dieser Situation auch anderes tun!?

Sie zog sich schnell aus und huschte ins Bett. Ich hatte mich ebenfalls ausgezogen und mich zu ihr gelegt. In Löffellage kuschelten wir uns aneinander. Sie hatte nur ihr Hemdhöschen* anbehalten. Als ich nach einer gewissen Zeit begann, den Steg im Schritt aufzuknöpfen, ließ sie es geschehen und streifte willfährig das seidene Kleidungsstück über die Hüften. Als ich versuchte, mich auf sie zu legen, ließ sie mich wissen, dass es ihr lieber währe, wenn wir die Löffellage beibehielten. Es war das erste Mal, dass ich mich einer Frau von hinten näherte.
Für sie, so glaube ich, war das vorteilhaft. Einmal konnte sie so ihre kleine Tochter, die ja mit im Zimmer schlief, im Auge behalten und reagieren, wenn sie munter werden sollte. Zum Andern entzog sie dadurch ihren Bauch, der wegen eines Kaiserschnittes nicht sehr ansehnlich war, geschickt meinen Blicken.
Mit ihr gewann ich so eine neue Erfahrung meiner pubertären Sturm- und Drangperiode.
Als ich mich spät Nachts von ihr verabschiedete, fragte sie mich ein wenig verschämt: „Hättest du Lust, mich nächste Woche zur gleichen Zeit wieder zu besuchen? Ich würde mich sehr freuen, wenn du kommen könntest!“
Erfreut sagte ich zu.
„Natürlich komme ich, wenn du willst, nächste Woche wieder zu dir!“, versprach ich ihr. „Ich freue mich auch darauf, dass wir uns wiedersehen können.“
Als ich die Woche darauf zu ihrer Wohnung kam, war die Tür verschlossen. Auf mein Klopfen reagierte niemand. Nur der Hausbesitzer, der nebenan in seinem Garten tätig war, wurde aufmerksam und kam näher.
„Wollen sie zu der jungen Frau mit dem kleinen Mädchen?“, fragte er Anteil nehmend.
Als ich nickte, informierte er mich: „Die wohnt nicht mehr hier, die ist bereits Ende vergangener Woche ausgezogen.“
Ich bedankte mich für die Auskunft und zog, etwas enttäuscht, von dannen.
Vielleicht haben sie nicht genug Umsatz gemacht und sind deshalb aus Guben weggegangen, machte ich mir Gedanken. Aber dann hätte sie mir doch eine Nachricht hinterlassen können, schlussfolgerte ich.
Da sie das nicht getan hat, müssen es schwerwiegendere Gründe gewesen sein, die sie gezwungen haben, Guben zu verlassen!? Ich nehme im nachhinein stark an, dass die Truppe mit ihren Bauchläden sich ohne staatliche Genehmigung in der sowjetisch besetzten Zone aufgehalten hat und ausgewiesen wurde. Jedenfalls habe ich nie wieder etwas von meiner Bauchladenverkäuferin gehört. Nur die Erinnerung an eine außergewöhnliche Begegnung ist geblieben!

*Ein Hemdhöschen war eine, heute fast vergessene, besondere Art von Frauenunterwäsche, die im Krieg und auch noch in den ersten Nachkriegsjahren getragen wurde. Hier waren Hemdchen und Slip zu einem einheitlichen Ganzen verbunden und aus praktischen Gründen war das Zwickelstück zum knöpfen.
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