ERSTER URLAUB

Die Braut meines Onkels Richard, Gertrud Döhring, wohnte mit ihren Eltern und Großeltern in Loitz, in Pommern. Er hatte sie kennen gelernt, als er seinen Wehrdienst im Fliegerhorst Demmin ableistete. Sie war oft bei uns zu Besuch.

Gertrud Döhring
Auch zu meiner Einsegnung war sie unser Gast. Als wir darüber berieten, was ich in meinem ersten Urlaub im Herbst 1942 machen könnte, (ich bekam als Lehrling laut Jugend-schutzgesetz 15 Arbeitstage Urlaub) lud sie mich und meine Kusine Irmchen ein, acht Tage bei ihr in Loitz zu verbringen. Da ihre Eltern ein großes Haus besaßen, war das kein Problem. Wir nahmen die Einladung erfreut an. Endlich mal eine Abwechslung für mich, denn bisher verlebte ich meine Ferien immer ganz in der Nähe von Guben, im Wechsel in Atterwasch und in Sommerfeld. Aber es war auch eine neue Herausforderung, denn es war eine Reise von über 300 Kilometern mit den Zug, und wir mussten über Berlin fahren und dort auch umsteigen.
Frohen Mutes machten wir uns am Sonnabend, dem 29. August auf den Weg. In der Frühe ging es mit dem Personenzug über Frankfurt (Oder) nach Berlin. Es war ein wunderschöner Spätsommertag. Der Zug war nicht übermäßig besetzt, so dass wir einen prima Fensterplatz bekamen. Je mehr wir uns Berlin näherten, um so voller wurde der Zug. Es waren vor allem Soldaten, die sich in die Abteile drängten. Es blieb nicht aus, dass sie sich für meine Kusine interessierten, die mit ihren 17 Jahren, ein hübscher, gut gewachsener Backfisch mit heiterem Gemüt, für die Landser ein prima Flirtobjekt abgab.

„Hast du noch mehr solche hübschen Schwestern?“ wandte sich einer an mich, fixierte dabei aber unverwandt meine Kusine. „Sag mal, spielt deine Schwester noch mit Puppen, oder darf sie auch schon mit Soldaten spielen?“ versuchte ein anderer seinen plumpen Annäherungsversuch.
„Hat deine Schwester schon einen Freund, oder kann ich noch hoffen?“, bemühte sich ein Dritter über mich um Kontakt zu meiner Kusine.
„Das ist nicht meine Schwester, das ist meine Kusine!“, stellte ich richtig und war recht stolz darauf, dass ich eine solche hübsche Kusine hatte, die soviel Aufmerksamkeit bei den Soldaten erweckte. Als sie sich dann aber nur noch mit den Soldaten beschäftigte, und für mich keine Zeit mehr hatte, begann ich mich zu ärgern. Ich wurde eifersüchtig und versuchte, ihre Tändelei mit den Soldaten zu stören. Leider vergeblich!
Ich war deshalb froh, als wir auf dem Lehrter Bahnhof, unserem Zielort in Berlin, aussteigen mussten. Obwohl auf den Bahnsteigen reger Betrieb herrschte, fühlten wir uns doch auf einmal recht verlassen. Da standen wir nun mit unseren Koffern allein im großen Berlin und wussten nicht genau, wie wir zum Stettiner Bahnhof kommen sollten, von dem aus wir in Richtung Demmin weiterfahren mussten. Irmchen, als die Ältere sich nun wieder ihrer Verantwortung bewusst, fragte einen Bahnbeamten. „Da müsst ihr zum Nordausgang raus und dann die Invaliden-Strasse runter. Bis zum Stettiner Bahnhof sind es zu Fuß etwa eine halbe Stunde Fußmarsch“, gab er uns bereitwillig Auskunft. Da bis zur Abfahrt unseres Zuges nur noch eine dreiviertel Stunde Zeit war, mussten wir uns ganz schön sputen. Es war schon um die Mittagszeit und die Sonne brannte unbarmherzig. Von der Angst getrieben, den Zug zu verpassen, kamen wir abgehetzt und durchgeschwitzt am Bahnhof an. Endlich im Zug nach Demmin, atmeten wir erleichtert auf. Jetzt konnte nichts mehr schief gehen.
Am späten Nachmittag waren wir in Loitz. Opa Döhring hatte uns von Demmin abgeholt. Tante Gertrud machte uns mit ihren Eltern, ihrer Großmutter und ihrem Bruder bekannt. Zur Begrüßung gab es frischen Streuselkuchen. Meine Kusine schlief mit der Braut meines Onkels zusammen in einem Zimmer. Ich wurde im Zimmer des jüngeren Bruders einquartiert. Er war etwa 2 Jahre älter als ich und wir verstanden uns beide von Anfang an gut.
Loitz war ein beschauliches Ackerbürgerstädtchen im Landkreis Demmin mit knapp 5000 Einwohnern. Es besaß mehrere kleine Handwerksbetriebe, eine Stärke-Fabrik und einen Hafen an der Peene. Vom Krieg war hier nichts zu spüren. Ich fühlte mich wie auf der Kinderlandverschickung der Hitlerjugend.
Die Familie Döhring besaß ein ansehnliches Anwesen. Vor dem Wohnhaus befand sich ein ausgedehnter Hof, der von einer Scheune und mehreren Schuppen umsäumt war. Auf dem Hof scharrten Hühner nach Futter. Vor einer Schuppenmauer standen mehrere verrostete landwirtschaftliche Maschinen. Der Hofhund lag angekettet vor seiner Hütte und eine Katze sonnte sich auf dem Fenstersims.
Wir verlebten ein paar wunderschöne sorgenlose Tage und wurden von Oma Döhring mit vielerlei Leckereien verwöhnt.
„Hast du Lust, mit mir ein Wettschiessen zu veranstalten?“ fragte mich Siegfried, der Bruder von Tante Gertrud, gleich am erstem Tag und zeigte mir stolz das neue Luftgewehr, das er zu seinem Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Es dauerte nicht lange, und die gesamte Familie hatte sich eingefunden, um den besten Schützen zu küren. Am Ende wurde mein Onkel Richard, der mehrere Tage Standort-Urlaub bekommen hatte, Schützenkönig. Ich konnte mir nach Siegfried den 3. Platz erkämpfen.
Grossen Spaß hatten wir auch bei Bootsfahrten mit dem Kahn auf der Peene, die bei Loitz mit mehreren kleinen, schilfumsäumten Seen verbunden war. Da die Sonne schön warm schien, badeten wir auch ausgiebig und schwammen um die Wette. Dabei war meine Kusine, eine exzellente Schwimmerin, nicht zu schlagen.

Mit dem Kahn auf der Peene
Ich weiß nicht warum, aber damals glaubte ich, Loitz liegt unmittelbar an der Ostsee und die lütten Seen seien Bestandteil des Achterwassers. Deshalb erzählte ich meinen Freunden auch stolz, dass ich in meinem ersten Urlaub an der Ostsee gewesen wäre, obwohl die mindestens 25 Kilometer entfernt gewesen war.
Manchen Abend machten wir, gemeinsam mit Siegfried, Spaziergänge in die Umgebung. Da es warm war, ging ich in kurzen Hosen, hatte mir aber, weil ich es schick fand, das Jackett meines Einsegnungsanzugs über die Schultern geworfen. Entweder war das Jackett zu lang, oder die Hose zu kurz, jedenfalls konnte man von hinten den Eindruck haben, ich hätte keine Hose an. Das sah damals sicher recht bescheuert aus, aber ich fand mich schön und ignorierte das Geläster von Siegfried und meiner Kusine.
Leider erst am Ende meines Urlaubsaufenthalts in Loitz machte ich auch noch eine Eroberung.
Antje, so hieß das Mädchen, war 15 Jahre alt, hatte dunkles, zu Zöpfen geflochtenes Haar, war etwas pummelig und sprach, was ich ganz putzig fand, Mecklenburger Platt. Siegfried hatte uns bei einem unserer Spaziergänge mit ihr bekannt gemacht. Sie schloss sich uns an und die letzten Tage in Loitz entwickelten sich für uns zu einer naiv-kindlichen Liebesromanze. Am letzten Abend sind wir beide Hand in Hand allein durch das Städtchen geschlendert. Dabei tauschte ich meinen ersten scheuen Kuss mit einem Mädchen. Meine kleine Freundin schenkte mir zum Abschied ein Foto von sich mit einer lieben Widmung zur Erinnerung. Ich glaube, sie war auch etwas traurig, als wir uns trennen mussten.
Acht Tage Urlaub in Loitz! Eine schöne, aber leider viel zu kurze Zeit, an die ich mich gerne zurück erinnere.
Auf der Rückfahrt war es mir schnurzpiepe, ob und mit wie vielen Soldaten meine Kusine flirtete. Ich saß versunken in meiner Abteilecke und träumte von Antje.......
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