OTTO LEHMANN

Lehmanns Otto, wie er im Dorf allgemein genannt wurde, war ein Atterwascher Original!

Ich habe ihn persönlich das erste Mal 1940 bei der Hochzeitsfeier von Tante Frieda kennen gelernt, wo er mit seinem Bandoneon zum Tanz aufspielte.

Otto Lehmann auf der Hochzeitsfeier von Tante Frieda
Er hatte ein vom Wetter gegerbtes, bäuerlich grobes Gesicht. Sein Hinterkopf war kahl-geschoren. Nur vorn sprießte ponyartig ein Büschel seines roten Haupthaares. Es war struppig, und er ver-suchte es zu bändigen, indem er es glatt nach hinten kämmte, wodurch das rote Haarbüschel seinen Kopf wie ein quergewachsener Hah-nenkamm krönte. Da-durch wirkte er ein wenig vertrottelt. Doch er blickte pfiffig drein und in seinen Augen blitzte der Schalk. Hin und wieder fuhr er mit der Zunge über seine wulstig aufgeworfenen Lippen, um sie zu befeuchten, denn durch ein paar vorstehende Zähne war seine Unterlippe stets wundgescheuert.
So saß er auf seinem Platz, das Bandoneon auf den Knien, die Hose mit einem Tuch geschützt, und animierte uns mit seinen Melodien zum Tanzen.
Es war bewundernswert, wie virtuos er sein Instrument beherrschte. Ich kann das beurteilen, da ich selbst Ziehharmonika spiele.
Es machte auch Laune, seinen auf Platt vorgetragenen Scherzliedchen zu lauschen. Eines, das er gerne zum Besten gab, ging so:

„Ich hei nen neien Pappa, sagt det Hänschen,
mir kenn uns beede gut vastahn.
Er drickt ma oft een Jroschen in det Händchen
und soagt, ich sull ma iba dee Stroaße jan!“


Meine Tante nannte ihn oft den ‚Leutenant‘. Ich wunderte mich darüber, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass Lehmanns Otto jemals bei den Soldaten und Offizier gewesen war. Wenn überhaupt, dann höchstens als so eine Art Niederlausitzer Schwejk. Verschmitzt lächelnd löste meine Tante das Geheimnis um Lehmanns Ottos ‚Offiziersrang‘.
In der Kirchengemeinde hatte Otto die Aufgabe übernommen, bei entsprechenden Anlässen, wie Taufe, Hochzeit oder Beerdigung die Kirchenglocken zu läuten. Diese Tätigkeit hatte ihm im Dorf den Ehrentitel ‚Leutenant‘ eingebracht.
Noch durch eine andere Begebenheit ist mir Lehmanns Otto in Erinnerung.
Eines Tages war in der Gubener Zeitung zu lesen, dass die Dorfstraße von Atterwasch asphaltiert wird. Die Dorfbewohner freuten sich. Gemeinderat und Kreisverwaltung waren überrascht, denn sie wussten von nichts und versuchten zu ergründen, was es mit dieser Meldung auf sich hat.
Es stellte sich heraus, dass Lehmanns Otto als ,Dorfkorrespondent‘ Be-richterstatter dieser Neuigkeit gewesen war. Lediglich ein großer Haufen Straßensplitt, der am Dorfeingang aufgeschüttet worden war, hatte bei ihm den phantastischen Gedanken von der Straßenerneuerung ausgelöst und ihn zu diesem Artikel animiert.
Viel Lärm um nichts, aber das Dorf hatte seinen Spaß!
vorherige SeiteSeite 63 von 164nächste Seite