BOMBEN AUF GUBEN

Über ein Jahr dauerte nun schon der Krieg, aber in Guben spürten wir, von den generellen Einschränkungen und einigen Fliegeralarmen abgesehen, davon kaum etwas. Das Leben ging weiter wie bisher; und jede neue Sondermeldung im Radio und die überschwänglichen Siegesberichte von den Kriegsschauplätzen in den Wochenschauen stärkten uns in dem Glauben an die Unbesiegbarkeit Deutschlands. Wir Jungen machten uns zwar heimlich über Generalfeldmarschall Meier· lustig, wenn wir wieder einmal Nachts im Luftschutzkeller gesessen hatten, weil feindliche Flugzeuge über Deutschem Luftraum operiert hatten, aber das geschah damals noch ohne Häme. Andererseits waren wir begeistert, wenn in den nazistischen Kriegsfilmen Stuka-Flieger sich enthusiastisch beim Hinabstürzen auf die feindlichen Ziele mit „...hinein mit Sack und Flöte...“ gegenseitig anfeuerten, oder die Piloten von Bomberstaffeln im Chor in den Refrain einstimmten: „..denn wir fliegen gegen Engeland...“.

Mit der Forcierung des faschistischen Luftkrieges über England 1940/41 nahmen aber auch die englischen Luftangriffe auf deutsche Städte zu. Immer öfter heulten nachts die Sirenen und zwangen uns in die Luftschutzkeller. Für uns, die Bewohner der Grünstrasse 1, war das besonders unangenehm. Da wir keinen eigenen Luftschutzkeller hatten, mussten wir uns jedes Mal in die Luftschutzräume der Firma F.W.Schmidt in der Kurmärkischen Strasse begeben. Das wurde uns bald zur stupiden Gewohnheit und kaum noch wirklich ernst genommen, wussten wir doch, dass bei jedem Anflug feindlicher Flugzeuge auf Berlin auch in Guben automatisch Fliegeralarm gegeben wurde. Die Alarme beeinträchtigten uns also mehr oder weniger nur psychisch und physisch, weil sie unseren Schlaf störten, brachten aber für unsere Stadt keine materiellen Schäden.
Eines Nachts im August 1941, die Sirenen hatten uns wieder einmal in den Luftschutzkeller getrieben, und wir dösten, in Erwartung der Entwarnung, halb verschlafen vor uns hin, vernahmen wir plötzlich, durch die Betonwände des Kellers zwar gedämpft, aber unüberhörlich, einige Detonationen. Wir spürten ein Beben bis in den Keller hinein. Die an der Decke baumelnden, trübe brennenden Lampen flackerten bedrohlich. Alles duckte sich verängstigt. Meine Mutter legte schützend den Arm um meine Schulter und mit schreckgeweiteten Augen flüsterte sie: „Mein Gott, jetzt sind wohl wir dran??!!“ Für eine gewisse Zeit herrschte atemlose Stille. Alle lauschten angestrengt nach draußen und warteten in verhaltener Angst auf das Schlimmste. Doch es blieb alles still. Schließlich löste die Entwarnungssirene die Spannung. Wir machten, dass wir wieder nach Hause kamen, aber mit dem Schlaf war es vorbei.
Anderen Tags nach der Schule schnappten wir uns unsere Fahrräder und fuhren, neugierig, wie wir waren, zu der Stelle, wo die Bomben abgeworfen worden waren. Weit außerhalb der Stadt, etwa 800 Meter rechts von der Cottbuser Strasse in Richtung Reichenbach, auf einem Acker zwischen Kupferhammer Strasse und Jüdischem Friedhof, waren die Bomben abgeworfen worden. Sie hatten mehrere tiefe Trichter ins Erdreich gerissen, aber sonst zum Glück keinen weiteren Schaden verursacht. Soldaten hatten die Abwurfstelle abgesperrt, um die vielen Gaffer – für die Gubener war der Bombenabwurf eine kleine Sensation – auf Distanz zu halten. Es war, wie sich herausstellte, kein gezielter, sondern der Notabwurf eines auf dem Rückflug befindlichen Feindflugzeuges gewesen. Es sollte auch, bis zu den schweren Endkämpfen in und um Guben Anfang 1945, der einzige Bombenabwurf auf Guben bleiben.
Meine Geschichte ereignete sich, wie es im ‚Gubener Heimatlexikon‘ von 1971 (Seite 74) vermerkt ist, während des 12. Fliegeralarmes in Guben. Zu diesem Thema gibt es auch eine Leserzuschrift von Werner Feller mit dem Titel „Zum Bombenabwurf vom 11. August 1941 in Guben“, Gubener Heimatkalender 2005, Seite 45.

· Generalfeldmarschall Göring hatte erklärt: „Ich will Meier heißen, wenn auch nur ein feindliches Flugzeug deutschen Luftraum verletzt!“
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