COWBOY - HOSEN

Mit den Söhnen und Töchtern der besseren Familien aus den Bürgerhäusern auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatten wir Arbeiterkinder so gut wie keinen Kontakt. Als ich einmal durch die offene Haustür eines dieser Häuser in den dahinter liegenden Garten sehen konnte, gewahrte ich einen Jungen in meinem Alter, der einen wunderschönen Cowboy-Anzug mit einer weißen Fellhose trug. Ich hätte vor Neid platzen können. Eine solche Hose zu besitzen, war mein Traum, denn Trapper und Indianer spielen war bei uns damals gerade ,in‘.

Mit großem Ehrgeiz war ich dabei, mir Fertigkeiten, wie Messer-, Beil- und Lassowerfen einzuüben, die zum Handwerkzeug jedes Indianers und Cowboys gehörten.

Mein Freund Horst Petke
Auf dem Hof meines Freundes Horst Petke hatten wie auch herrliche Plätze, wo wir das ungestört tun konnten. Unter einem wind-schiefen Schuppen neben der Scheune lag hinter altem Gerümpel ein riesiges Fass, das wir uns als unsere Blockhütte eingerichtet hatten. Hier hielten wir unser Palaver ab, träumten von Überfällen auf Postkutschen im Wilden Westen, schürften in Gedanken Gold oder kämpften mit Grizzlybären und rauchten auch hin und wieder mal die Friedenspfeife. Ich hatte mir auch meinen Zündblättchen-Colt wieder hervorgekramt und mir dafür aus meiner Fahrradwerkzeug-tasche ein Pistolen-Halfter gebaut. Ausstaffiert mit einem alten Hut und einem großen, rotbunten Taschentuch meines Großvaters als Halstuch fühlte ich mich wie einer der Westernhelden aus den amerikanischen Wild-West -Filmen.
Nur eins fehlte noch, eine zünftige Cowboyhose!
Es dauerte aber nicht lange, und mir kam der rettende Gedanke. „Weißt du was, ich nähe uns einfach aus alten Kartoffelsäcken solche Hosen!“, unterbreitete ich meinem Freund Horst meine Überlegungen.
Begeistert von meiner Idee schleppte Horst sofort aus der Scheune einige Säcke herbei und ich machte mich an die Arbeit. Ich schnitt die Säcke unten auf und für die Hosenbeine in der Mitte etwa zwei Drittel ein. Dann nähte ich mit grobem Sackgarn, was Horst ebenfalls herangeschafft hatte, die Beinröhren innen zusammen, und fertig waren die Cowboy-Hosen.
Natürlich klappte das nicht auf Anhieb. Einmal war der Einschnitt für die Beine zu lang geraten; ein andermal hatte ich zu eng genäht, so dass das grobe Jute–Gewebe ausfranste; jedenfalls gingen dabei erst einmal mehrere Säcke flöten, bevor uns die Hosen passten.
Endlich war unsere Ausrüstung perfekt. Glücklich und zufrieden machten wir als Viehdiebe, Sheriffs, Cowboys oder Revolver-Helden die Gegend unsicher. Wir hatten eine schöne Zeit.
Der Sommer verging und die Zeit der Kartoffelernte kam heran. Der Vater von Horst machte sich daran, die Kartoffelsäcke zu prüfen. Wir saßen in unserem Fass-Blockhaus, als wir seine wütende Stimme vernahmen: „Das kann doch nicht wahr sein! Ich hatte doch viel mehr Kartoffelsäcke! Die können doch nicht die Ratten gefressen haben! Wer hat sich denn daran vergriffen! Na warte, wenn ich den erwische, der mir die Säcke versaut hat!“
Mein Freund Horst war vor Schreck ganz blass geworden. Am liebsten hätte er die Nacht in unserem Fass verbracht, um der Tracht Prügel, die ihn unweigerlich erwartete, zu entgehen. Als Mitschuldiger fühlte ich mit ihm mit, konnte ihm aber nicht helfen. Er musste den großen Ärger, den er wegen der, für unsere Cowboy-Hosen, vermurksten Kartoffelsäcke bekam, ganz alleine durchstehen. Ich bin sicherheitshalber erst einmal eine ganze Weile nicht zu ihm spielen gegangen, was er verständlicher Weise s e h r g e m e i n fand. Schließlich heilte die Zeit aber auch diese ‚Wunde‘, und wir blieben gute Freunde.
vorherige SeiteSeite 58 von 164nächste Seite