EIN SCHULAUFSATZ

Es war im Jahr 1935. Die großen Schulferien waren zu Ende. Ich hatte sie bei meinem Großvater in Atterwasch verlebt und mich gut erholt.

Der erste Schultag verlief recht ruhig. Unsere Lehrerin, Fräulein Eisleb, machte keinen Unterricht, sondern forderte uns auf, unsere Ferienerlebnisse zu erzählen. Sie verfolgte damit zweierlei: Einmal sollte der erste Schultag für uns nicht gleich zu anstrengend werden. Andererseits wollte sie erreichen, dass wir unsere Erinnerungen an die Ferienzeit auffrischen, denn darüber sollten wir einen Aufsatz schreiben.
Aufsätze waren mir in der Schule immer ein Graus gewesen. Deshalb bereitete mir auch diese Aufgabe großes Unbehagen.
Über was sollte ich schreiben?
Wie sollte ich es schreiben?
Wie viel müsste ich schreiben?
Das waren die Fragen, auf die ich so schwer eine Antwort fand.
Ich musste mich sehr quälen, um folgendes in schöner Sütterlinschrift zu Papier zu bringen:

Mein Schulaufsatz in Sütterlinschrift
Mein Ferienerlebnis.
Ich war in den Ferien bei meinem Großvater. Das ist in Atterwasch. Ich konnte auf dem Hof schön spielen. Einmal konnte ich nicht draußen spielen. Es war Gewitter. Es blitzte und donnerte immerzu. Es regnete auch viel. Das Wasser floss die Dorfstrasse hinunter. Ein Blitz ist in eine Scheune eingeschlagen. Die Feuerwehr konnte nichts retten. Die Scheune ist abgebrannt. Am anderen Tag bin ich mit meinem Großvater hingegangen, wo das Feuer war. Alles war schwarz vom Feuer. Es roch wie Malzkaffee. Feuer ist schlimm."


Ich war mir nicht sicher, ob das, was ich geschrieben hatte, auch gut war. Ich hatte mächtigen Bammel, als am anderen Tag unsere Lehrerin die Aufsatzhefte einsammelte, um sie durchzusehen. Die Ungewissheit lastete schwer auf mir.
Als Fräulein Eisleb unsere Aufsätze auswertete, war unsere Spannung groß.
„Ich bin sehr zufrieden mit euch. Überwiegend habt ihr alle gute Aufsätze geschrieben. Eure Erlebnisse waren sehr interessant. Einen möchte ich besonders auswerten, den von Werner Krause.“
Mir rutschte das Herz in die Hose. Ich war auf ein vernichtendes Urteil gefasst.
Die Lehrerin ließ eine große Landkarte von unserem Heimatkreis Guben aufhängen.
„Werner schreibt, er war in den Ferien in Atterwasch. Wollen wir doch mal sehen, wo Atterwasch liegt?“
Als es auf der Karte gefunden war, verglich Fräulein Eisleb den Ortsnamen mit dem in meinem Aufsatz und vermerkte anerkennend: „Werner hat diesmal den besten Aufsatz verfasst. Sogar Atterwasch hat er richtig geschrieben, und das ist ja wirklich kein einfacher Name.“
Aus meiner vorangegangenen Furcht wurde ein freudiger Schreck. Ich war der Beste!
Damit war ich um eine Erfahrung reicher: Unsicherheit bringt gar nichts. Man muss von dem, was man tut, auch überzeugt sein.


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