DIE PRÄMIE

Der 8. März, der internationale Frauentag, war ein Anlass, der an der Landesschule Brandenburg des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes gebührend gewürdigt wurde. Der Schulleiter, Kollege Werner Fischer, forderte deshalb alle Seminare des Lehrgangs auf, zu seiner Gestaltung einen eigenen Beitrag zu leisten.
Mein Seminar beriet lange darüber, was wir als unseren Beitrag zur würdigen Gestaltung dieses Tages beisteuern könnten, jedoch leider erfolglos!
Auch ich zergrübelte mir mein Gehirn, aber ein einigermaßen akzeptabler Gedanke wollte sich auch bei mir nicht einstellen.
So verging die Zeit, ohne dass sich in meinem Seminar etwas tat. Der Frauentag aber rückte näher und näher. Es begann für uns schon peinlich zu werden. Alle anderen Seminare waren bereits eifrig dabei, sich mit ihrem Beitrag auf den 8. März vorzubereiten, und wir wussten noch nicht einmal, was wir machen wollten.
Zwischenzeitlich hatte die Schule vom Demokratischen Frauenbund Deutschland (DFD) einen Packen Plakate zum Frauentag bekommen, die der Internationale Frauenbund (IDFF) herausgegeben hatte.

Mein Seminarlehrer Koll. Schulz
Ein Plakat beeindruckte mich sehr. Es zeigte die Weltkugel und davor eine Frau, die schützend ihre Hände über vier Kinder hielt – ein weißes, ein gelbes, ein braunes und ein schwarzes – und den Beschauer aufforderte, alle Kinder der Erde vor Krieg und Hunger zu schützen.
Von diesem Plakat angeregt, schlug ich den Kollegen meines Seminars vor: „Was haltet ihr davon, wenn wir dieses Plakat in größerem Maßstab abmalen und diese Vergrößerung dann im Dorf an einer freien Wand aufhängen“.
Zuerst wurde mein Vorschlag mit Skepsis aufgenommen. Da es aber keine anderen, besseren Ideen gab und ich mich bereiterklärte, das Bild abzumalen, wurde mein Gedanke akzeptiert und als unser Beitrag zum 8. März zuerst unserem Seminarleiter, Kollegen Schulz, und mit dessen Befürwortung der Schulleitung vorgetragen
Auch hier gab es anfangs Zweifler. Doch der Unterstützung des Kollegen Schulz war es zu danken, dass unser Vorschlag angenommen wurde. Sein Argument: „Was soll schon passieren. Wenn es klappt, ist es gut, wenn nicht, hat schlimmstenfalls das Seminar zum 8. März keinen eigenen Beitrag geleistet“, ließ auch den letzten Zweifler verstummen.
Ich bekam also Zollstock, Lineal, Bleistift, Pinsel, Farbe, Schere, Kleber und mehrere Rollen braunes Packpapier. Mit diesen Utensilien ausgerüstet, begab ich mich nun Abend für Abend nach dem Unterricht auf den Boden, wo reichlich Licht und genügend Platz war, um das vergrößerte Plakat zu malen. Zuerst schnitt ich mir mehrere Papierbahnen zurecht und verklebte sie zu einer 3 x 4 Meter großen Fläche. Dann teilte ich das Plakat, welches mir als Vorlage diente, in 5 x 5 Zentimeter große Quadrate und übertrug diesen Raster in entsprechen-dem Maßstab auf meine Papierfläche. Nachdem ich die Komturen der Dar-stellung auf dem Plakat mit Bleistift auf meine Papierfläche übertragen hatte, begann ich mit dem Ausmalen in Farbe. Nach und nach nahm das zehnfach vergrößerte Bild Gestalt an und entsprach im wesentlichen, was Form und Farbe betraf, dem Original.
Unser Seminarlehrer, Kollege Schulz, andere Mitglieder der Schulleitung und Kollegen meines Seminars kamen in Abständen zu mir auf den Boden, um sich vom Fortgang der Arbeit zu überzeugen, Hilfe anzubieten, Kritik zu üben und mich mit Zigaretten und Limonade zu versorgen.
Endlich, ich hatte zehn Abende bis gegen 23.00 Uhr auf dem Boden geackert, war das Werk vollbracht!!! Es wurde von den Kollegen begutachtet, bewundert und gelobt. Alle Mitglieder des Seminars halfen dann mit, die große bemalte Papierfläche vorsichtig zusammenzurollen, in den Lektionssaal zu tragen und dort auf einem entsprechenden Holzrahmen zu befestigen.
Am Mittwoch, einem Tag vor dem 8. März, brachte unser Seminar mit viel Hallo das Riesenbild an einer passenden Giebelwand im Dorf an. Dort prangte es bis zum Sonntag und kündete überdimensional vom Friedenswillen der Frauen der Welt.
Der dann einsetzende Regen begann, das Bild aufzuweichen. Dadurch hatte der Wind es leicht, es in Fetzen vom Lattengerüst zu reißen. Meine zehntägige Arbeit wurde so in kürzester Zeit zunichte gemacht.
Doch eine Erinnerung daran ist mir geblieben!!
Auf einer Gewerkschaftsversammlung Ende März würdigte der Schulleiter in seinem Referat meinen außerordentlichen Einsatz zum Internationalen Frauentag 1951 und überreichte mir das Buch von Franz Mehring: „Deutsche Geschichte vom Ausgang des Mittelalters“ als Auszeichnung.
So kam es zu dem Paradoxon, auf das ich mit Recht stolz bin. Ausgerechnet als Mann erhielt ich die erste Prämie in meinem Leben für besonderen Einsatz zum Internationalen Frauentag!
Meine Prämie zum Internationalen Frauentag 1951
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