JOURNALISTISCHE VERSUCHE

Die Kirche in Atterwasch ist in vielfältiger Hinsicht mit meinem Leben verwoben. Meine Mutter war bei Pfarrer Perscht Dienstmädchen und wurde, weil ich ans Licht der Welt drängte, entlassen.

Der Turm der Kirche in Atterwasch

Als Kind bin ich oft, wenn ich in den Ferien bei den Großeltern in Atterwasch war, mit meinem Großvater Sonntagmorgen zum Gottesdienst in die Kirche gegangen. Vorher mussten wir alle Schuhe putzen. Mein Großvater hatte seinen Platz auf der Empore gegenüber der Kanzel. Wir mussten, wenn wir nach oben stiegen, an der Orgel vorbei und konnten beobachten, wie zwei Dorfjungen mit den Füßen den Blasebalg betätigten, um den Orgelpfeifen die not-wendige Luft zuzuführen.
Wenn Missionsfest war, lud der Pfarrer zu Kaffee und Kuchen ein, den die Frauen des Dorfes gespendet hatten. Dabei konnten wir Kinder auf dem Hof des Pfarrhauses hinter der Kirche herum-toben. Dabei schlichen wir manchmal heimlich in die Kirche, um den Kirchturm zu besteigen, was wir sehr abenteuerlich fanden.
Wenn Großvater und Onkel Erich von der Wiese ,hinger Miäle‘ (Ist Mundart und heißt: Hinter der Mühle) das Heu einfuhren und ich auf das Kuhgespann auf-passen musste, tat uns die Kirchturmuhr mit ihren weithin sichtbaren großen viereckigen weißen Zifferblättern die Zeit kund. Und wer, in die Arbeit versunken, nicht aufschaute, dem sagte die Glocke mit hellem Klang, was die Stunde geschlagen hatte.
Wenn ich, mit dem Fahrrad von Guben kommend, das Wäldchen hinter Deulowitz verließ, dann kündete der Kirchturm mit seiner, mit grauem Schiefer gedeckten Spitze, der goldenen Kugel und der Wetterfahne schon lange, bevor die Häuser zu sehen waren, dass Atterwasch nicht mehr weit war.
Im Sommer 1948 war ich wieder einmal bei meinem Großvater in Atterwasch zu Besuch. Angesichts der Kirche, die dem Gehöft meines Großvaters direkt gegenüber steht, überkam mich der Wunsch, wieder einmal heimlich den Kirchturm zu besteigen und mich Kindheitserinnerungen hinzugeben. Das Portal war, wie immer, nicht verschlossen, so dass ich ungehindert eintreten konnte. Als ich die alten Holzstufen hinaufstieg, die sich im inneren des Turmes spiralförmig bis zur oberen Plattform empor winden, war mir doch ein wenig beklommen zumute, und ein leichtes Frösteln überkam mich in der Kühle des ehrwürdigen Gotteshauses. Das Holz der Treppe, vom Alter gedunkelt, knarrte leise unter meinen Schritten. Vögel, die das Gemäuer als Niststätte nutzten, flatterten aufgeregt, von mir in ihrer Ruhe gestört, durch die Fensterluken nach draußen. Dabei wirbelten sie den jahrzehnte alten Staub auf dem Gebälk des Dachgestühls auf.
Viel bewusster, als in der Kindheit, besah ich mir die imposanten Glocken, bewunderte die handwerklich gekonnt ausgeführte Holzkonstruktion des Glockenstuhls und bestaunte das Gestänge mit dem dicken Seil, an dem, vom Küster gezogen, die Glocke hin und her geschwungen wurde und der schwere Klöppel ihre dröhnende Stimme zum Klingen brachte.
Als ich mich der Turmluke zuwandte, um den Blick über das heimatliche Land schweifen zu lassen, stutzte ich. Ein Bild erregte meine Aufmerksamkeit, das dort in verstaubtem Rahmen an einem Balken hing. Es zeigte das vergilbte Konterfei des ,eisernen‘ Kanzlers Otto Fürst von Bismarck.
Es hing sicher schon seit der Kaiserzeit unbeachtet hier. Doch für mich, den jungen Gewerkschaftsfunktionär, der auf einem vierzehntägigen Lehrgang erstmals etwas über das Sozialistengesetz gehört hatte, war es unfassbar, dass die Kirche in der anbrechenden neuen Zeit noch das reaktionär-preußische Junkertum verherrlichte.
Für mich war klar, das konnte ich nicht so ohne weiteres hinnehmen. Wieder zu Hause, setzte ich mich deshalb hin und schrieb einen Artikel für die Märkische Volksstimme, in dem ich mein Erlebnis in der Atterwascher Kirche schilderte und mein Unverständnis über das dort hängende Bismarckbild zum Ausdruck brachte.
Mein Artikel ist nie erschienen! Was hätte das sektiererische Geschreibsel eines jungen Revoluzzers auch gebracht? Doch meine Darlegungen ließen wohl etwas journalistisches Talent vermuten. Es zu entwickeln und politisch zu fundieren schien zu lohnen, denn Volkskorrespondenten waren etwas Neues und gefragt. Deshalb bekam ich eine Einladung zu einem Volkskorrespondenten-Lehrgang in Potsdam. Die zwei Wochen waren nicht uninteressant und ich erinnere mich gern daran. Eine Erkenntnis gewann ich aber im Verlaufe des Lehrgangs: Es fällt mir schwer, Auftragsartikel zu schreiben.
So ist der Versuch, aus mir einen Volkskorrespondenten zu machen, von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen.
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