DAS FESTESSEN

Als die Musiker im Feldschlösschen Pause machten, war ich nach draußen gegangen, um Luft zu schnappen und eine Zigarette zu rauchen. Als ich so dem Rauch meiner Zigarette nachschaute und überlegte, welches Mädchen ich zum nächsten Tanz holen werde, sah ich sie: Eine Katze, die schnurrend um meine Beine strich. Ich konnte es zuerst gar nicht fassen, hier eine frei herumlaufende Katze zu sehen, denn kurz nach dem zweiten Weltkrieg nahm alles, was einigermaßen genießbar war, den Weg in den Kochtopf. Schon der Begriff ,Dachhase‘ drückte das aus, was es war, eine Katze, die als ,Hase‘ in die Bratpfanne kam.

Nachdem sich meine Überraschung gelegt hatte, überlegte ich krampfhaft, wie ich sichern konnte, dass mir das Kätzchen nicht weglief und ich unbemerkt mit ihm nach Hause kam.
Einen Bekannten, der auch Luft schnappen war, bat ich, meine Freunde Manfred, Ernst und Wolfgang herauszuschicken. Als sie nach kurzer Zeit erschienen, waren wir uns einig: Dieser Braten ist uns sicher, den lassen wir uns nicht mehr aus den Händen gleiten.
Wir ließen Tanzen Tanzen sein und holten unsere Sachen aus der Garderobe. Ich nahm die Katze auf den Arm und, begleitet von meinen Freunden, ging es schnell zu mir nach Hause. Unterwegs malten wir uns schon aus, was für eine herrliche Malzeit das werden würde.
Meine Mutter war erstaunt darüber, dass ich mit meinen Freunden schon so zeitig vom Tanz zurückkam, und war überrascht, dass wir eine Katze mit brachten. Sie streichelte das niedliche Tier und gab ihm etwas Milch zu schlabbern. Als sie aber hörte, dass wir die Katze schlachten und dann verspeisen wollten, erschrak sie.
„Macht, was ihr wollt“, sagte sie verunsichert, „aber verlangt nicht von mir, dass ich sie euch brate. Das kann ich nicht. Immer hätte ich das zutrauliche Kätzchen vor Augen.“
Mein Vater dachte da realistischer. Unter der Bedingung, dass er am Hasenschmaus teilnehmen könne, erbot er sich, das Schlachten zu übernehmen.
Anna Pohle, eine Flüchtlingsfrau aus dem Ostteil der Stadt, die mit ihrer Tochter Gitta nach der Vertreibung durch die Polen in einem Zimmer unserer Wohnung Unterkunft gefunden hatte, erklärte sich bereit, den Braten zu machen. Wir versprachen ihr dafür die Innereien.
Danach beratschlagten wir, was sonst noch zu tun wäre. Es wurde festgelegt, dass wir am nächsten Sonntagmittag das Festessen veranstalten wollten. Jeder meiner Freunde hatte dazu, um das Menü zu sichern, zwei Brikett zu liefern, etwas Fett zum Garen beizusteuern und die Kartoffeln zur Verfügung zu stellen.
Dienstag sollte Schlachttag sein, damit das ,Wildbret‘ gut abhing und noch ein paar Tage in saure Milch eingelegt werden konnte.
Die Katze im Rucksack machten wir, mein Vater und ich, uns nach Feierabend auf den Weg nach Atterwasch. Auf dem Hof meines Großvaters wollten wir schlachten.
Da nur mein Vater ein Fahrrad besaß, wandten wir folgende, damals oft praktizierte Methode an: Einer fuhr mit dem Fahrrad etwa 500 Meter weit, stellte es ab und ging zu Fuß weiter. Der andere lief zu Fuß bis zum abgestellten Fahrrad und fuhr, den ersten überholend, auch etwa 500 Meter. So bewegten wir uns wie eine Stafette, abwechselnd laufend und fahrend, vorwärts. Mit dieser Methode ging es schneller, als mit Laufen. Man sparte auch Kraft, was zur damaligen Zeit notwendig war. Schließlich machte es auch Spaß, sich so, wechselseitig überholend, fortzubewegen. Es dauerte auch nicht lange und wir hatten die fünf Kilometer bis nach Atterwasch zurückgelegt.
Es gab ein großes Hallo, als wir ankamen. Nachdem wir Opa, Tante Frieda und den kleinen Martin begrüßt und Neuigkeiten ausgetauscht hatten, gingen wir ans Werk. Ich will es nicht leugnen, das Tier tat mir leid. Doch nun gab es kein Zurück mehr.
Endlich war der Sonntag heran. Es war ein schöner Herbsttag mit wärmendem Sonnenschein. Obwohl es ein Tag war wie jeder andere, hatte er für meine drei Freunde und mich etwas besonderes, festliches. In der Küche duftete es wunderbar nach Gebratenem und Gesottenem. In der Wohnstube war der Tisch festlich gedeckt. Meine Freude, mein Vater und ich setzten uns erwartungsvoll. Dann kam der große Augenblick! Anna Pohle brachte den Braten und zerteilte ihn gerecht. Meine Freunde und ich bekamen je eine Keule und mein Vater das Mittelteil. Wer es nicht wusste, hätte den Braten keinesfalls als Katze erkennen können, und wir, die es wussten, störten uns nicht daran.
Schweigend speisten wir. Keiner störte die Würde des Augenblicks. Nur unser genießerisches Schmatzen verriet, dass es uns mundete.
Meine Mutter ließ sich wirklich die ganze Zeit nicht sehen. Sie hatte aber zum Kompott ein Glas Sauerkirschen spendiert.
Ein Glas kühles Bier rundete unser Festessen ab.
Satt und zufrieden, den Geschmack des zarten Bratens noch lange auf der Zunge, machten wir uns nach dem Essen in gehobener Stimmung auf den Weg zum Feldschößchen, um diesen außergewöhnlichen Sonntag mit einem zünftigen Tänzchen zu beschließen.
Wir waren in bester Laune, doch den Grund dafür behielten wir, besser ist besser, lieber für uns!
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